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„Ein Weg, der nicht zur Kirche führt“

Die EU hat sich lange nicht um die Lage der Menschenrechte in Zentralasien gekümmert. Das ändert sich langsam. Auch der deutschen Politik fehlt es noch an Entschlossenheit, so der kasachische Menschenrechtsaktivist Jevgenij Zhovtis

JEVGENIJ ZHOVTIS, 1955 in Almaty geboren, gilt als einer der einflussreichsten und wichtigsten Menschenrechtler in Kasachstan und Zentralasien. Der promovierte Bergbauingenieur studierte nach dem Zerfall der Sowjetunion Rechtswissenschaften und vertrat offensiv politische Verfolgte in Kasachstan. Am 21. Mai wurde ihm in Berlin der Menschenrechtspreis der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung verliehen.

taz: Herr Zhovtis, Sie haben kürzlich den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung bekommen. In der der Laudatio sagte Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, dass Menschenrechte ein integraler Bestandteil der europäischen Zentralasienpolitik seien. Glauben Sie ihm?

Jevgenij Zhovtis: Ich habe mir lange schon abgewöhnt, etwas zu glauben. Aber ich sehe die jetzige Zentralasienpolitik Deutschlands und Europa nicht statisch, sondern als Chance für eine Dynamik. Lange war von Europa in Bezug auf Menschenrechte in Zentralasien nichts zu hören, im Gegensatz zu den Amerikanern, die, aus welchen Gründen auch immer, deutlich Position bezogen. Das hat sich jetzt geändert.

Inwiefern?

In dem ersten Entwurf der Zentralasienstrategie gab es lediglich drei Worte über Menschenrechte, nun sind es mehr geworden. Erler steht zwar deutlich für einen Dialog mit den Regierenden ein, aber er hört den Menschenrechtlern immerhin zu. Wie effektiv sich dies dann auf die deutsche Politik in Zentralasien auswirkt, wird sich zeigen. Unter Schröder war das aber sicher schwieriger als unter Merkel.

Die deutsche Außenpolitik will, dass Kasachstan 2009 trotz erheblicher Demokratiedefizite den angestrebten OSZE-Vorsitz erhält. Ist das richtig?

Ich finde, ja – obwohl ich dafür heftig kritisiert werde. Ein kasachischer OSZE-Vorsitz muss an folgende minimale Bedingungen geknüpft sein. Die politischen Strafprozesse gegen Oppositionelle und Journalisten müssen aufhören, Oppositionsparteien müssen registriert, die Einschränkungen im Mediengesetz zurückgenommen werden, und die Opposition muss Zugang zum kasachischen Fernsehen erhalten. Wahlen haben keinen Sinn, wenn das Fernsehen nicht über die Oppositionskandidaten berichtet. Jedoch hat sich die kasachische Regierung in den anderthalb Jahren, seit sie den Anspruch auf den Vorsitz angemeldet hat, nicht bewegt.

Knüpft Deutschland die Unterstützung des kasachischen Vorsitzes an diese Bedingungen?

Bis jetzt ist Deutschland bei der Formulierung dieser Bedingung leider undeutlich.

Wie wichtig ist Nasarbajew überhaupt der OSZE-Vorsitz?

Auf der einen Seite dürstet Nasarbajew nach dem Vorsitz als Imagegewinn auf europäischer Bühne – auf der anderen Seite befindet sich die kasachische Führung in einem Dilemma. Dem Wesen nach folgt die Machtlogik in Kasachstan immer noch dem postsowjetischen Prinzip. Medien, Staatsgewalt und Wirtschaft sind in den Händen der Macht konzentriert. Entweder begibt die kasachische Regierung sich in die Abhängigkeit von Russland und China, was einer Machtgarantie der Eliten gleichkommt – oder sie nähert sich Europa und den demokratischen Werten an, dann könnte jedoch die Macht gefährdet sein. Zudem versucht Russland in der OSZE die Prinzipien der gelenkten Demokratie gegen den europäischen Demokratieentwurf zu etablieren. Europa muss dieses Dilemma verstehen.

Was passiert, wenn Kasachstan der OSZE-Vorsitz verweigert würde?

Kasachstan würde sich in eine Schmollecke zurückziehen. Als Vorsitzender der OSZE müsste es hingegen Menschenrechtsverletzungen etwa in Turkmenien und Usbekistan kritisieren.

Kann man Kasachstan mit Usbekistan, dem anderen großen Staat in Zentralasien, gleichsetzen – oder überwiegen Unterschiede?

Usbekistan ist anders. Das System dort ist desolat. Die Spannungen im Inneren können auch nicht mehr gelöst werden, wenn man ein wenig Dampf aus dem Kessel lässt, dazu ist die Situation zu verfahren. Würde man die Grenzen zu Kasachstan weiter öffnen und erlauben, kasachisches Kapital in Usbekistan zu investieren, würden die Menschen dort schnell merken, wie ruiniert das Land ist und dass sich in Usbekistan wirtschaftlich und politisch nichts entwickelt hat.

Deutschland möchte die Sanktionen der EU gegen Usbekistan lockern oder aufheben. Ist das richtig?

Nein, wenn Europa schon Sanktionen und Bedingungen dafür beschlossen hat, kann die EU sie nicht mit der Begründung aufheben, sie hätten nichts gebracht, obwohl Usbekistan nicht nur keine der Bedingungen erfüllt, sondern sich sogar in die gegenteilige Richtung bewegt hat.

Erler meint, dass die Freilassung der usbekischen Menschenrechtlerin Umida Nijaswa ein Erfolg des Menschenrechtsdialog mit Usbekistan sei. Stimmt das?

Nein, und das habe ich ihm auch gesagt. Erst verhaftet man zehn, dann lässt man einen frei und feiert dies als Erfolg. So geht das natürlich nicht. Ein Dialog muss immer zielführend sein. Sonst ist es, wie man so schön sagt, wie ein Weg, der nicht zur Kirche führt, und damit unsinnig.

INTERVIEW: MARCUS BENSMANN

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