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taz-adventskalenderJoachimstaler Straße 4

Das kulturelle Angebot der Beate-Uhse-Filiale am Zoo gibt’s im dritten Stock: im Erotikmuseum

Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man jeden Tag eine nummerierte Tür öffnen – und sich überraschen lassen.

Erotikmuseum, hihi. Kollegen wünschen grinsend „viel Spaß bei der Recherche“. Noch größeres Gekicher am Eingang der Beate-Uhse-Filiale am Zoo: Zwei pubertierende Jungs: „Geil, ab 18, ist bestimmt voll Hardcore.“ Drinnen ist es voll Hardcore-Achtziger mit Samt, Plastik und viel Neonschrift: Shop, Kino, Museum.

„Sechs Euro, Aufzug, dritter Stock“, bellt die Frau an der Kasse. Ihr Ton lässt keinen Zweifel daran, dass es hier nichts zu kichern gibt. Ich male mir aus, wie viele Dildos, Gleitmitteltuben und Porno-DVDs schon durch ihre Hände gingen, und versuche, möglichst seriös auszusehen. Schließlich möchte ich weder Dessous mit Pelzbesatz anprobieren noch die Wichskabinen im ersten Stock aufsuchen, sondern nur das kulturelle Angebot des Hauses wahrnehmen.

Der „Platz der schönen Künste“ ist rot und von bedrückender Spießigkeit. Dunkelrote Wände, dunkelroter Teppichboden, glänzende rote Säulen. Den steinernen Adonis mit Ständer schützt ein Absperrgitter mit Kette vor Zudringlichkeiten. Eine Tafel droht: „Dieser Bereich wird videoüberwacht!“ Die sphärische Synthesizermusik, die laut durch den Raum dudelt, dient vermutlich auch dazu, die Emotionen der Besucher im Zaum zu halten.

Meinetwegen hätte man den Aufwand nicht betreiben müssen. Ich bin die Einzige im Museum und bleibe ruhig, auch angesichts der inneren und äußeren Schamlippen, die detailgetreu in Porzellanteller gefaltet, zu Silberringen gehämmert und auf Amulette gepinselt sind. Ziemlich kitschig und „unanständig“ nur für Leute, die noch nie eine Vagina bei Tageslicht gesehen haben. Lustig sind die chinesischen „Spottrollen“ aus dem 18. Jahrhundert. Sie zeigen Männer, die unter der Last ihrer übergroßen Schwänze zusammenbrechen oder sie auf Schubkarren abstützen. Die Glieder auf den ernst gemeinten fernöstlichen Kopulationsbildern sind nur wenig kleiner, dazu oft behaart und von ungesunder hellbrauner Färbung. Meist stecken sie in riesigen, stark behaarten Mösen, die nicht so recht zu den geziert abgespreizten Füßchen und kirschroten Mündchen der Frauen passen wollen.

An den Wänden und in Vitrinen reiht sich Kopulationsakt an Kopulationsakt. Von vorn, von hinten, kamasutrisch verdreht, im Schlafgemach, auf dem Boot, im Gras. Mal reichhaltig illustriert, wie in den Hochzeitsbüchern, die reiche Chinesinnen am Tag vor ihrer Hochzeit erhielten. Mal mit feinem Pinselstrich auf Porzellankacheln für den Kaiserpalast gemalt. Auch lange vor der Pornoindustrie waren Sexszenen überall, zumindest in Fernost: auf Tabakdosen, Gürtelschnallen, Dildos und sogar Vogelfutterspendern. Die Bandbreite der darstellbaren Sexualpraktiken war allerdings sehr begrenzt: Mann plus Frau, fertig. Nur bei den Indern gibt es Cunnilingus, die Frauen lächeln verschmitzt, und die Männer tragen lustige Schnurrbärte.

Der westliche Kulturkreis ist mit zeitgenössischem Genitalkitsch und einer Marilyn-Monroe-Statue, der per Automatik immer wieder der Rock hochgepustet wird, eher unterrepräsentiert. Für den zweiten Stock mit Zille fehlt mir die, hihi, Standfestigkeit. Und fürs Amüsement die richtige Gesellschaft.

Ein Ehepaar mittleren Alters schlurft schweigend durch den Raum. Bei den Indern bleiben die beiden kurz stehen. Sie: „Der ist aber groß.“ Er: „Mhm.“ Dann verschwinden sie in der Ecke, die der Beate-Uhse-Firmengeschichte gewidmet ist.

Immer wenn die Musik kurz aussetzt, hört man den Verkehrslärm von der Joachimstaler, es ist stickig. Im Aufzug steigt ein Mann aus der Kinoetage zu. „Dr. Müller Bizarr Welt“ blinkt hinter seinem Rücken, als sich die Tür schließt. Ich habe das dringende Bedürfnis, mir die Finger zu waschen. NINA APIN

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