WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Der Tod in Stammheim, neu aufgelegt
Retro ist angesagt: „Die Todesnacht in Stammheim“ hat Helge Lehmann sein eben erschienenes Buch überschrieben (Pahl-Rugenstein Verlag 2011). Und was er den geneigten LeserInnen mitteilen will, macht er schon im Untertitel klar: Ein „Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren“.
Mit anderen Worten: Lehmann will die Selbstmorde der Mitbegründer der Rote Armee Fraktion, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe, im Hochsicherheitsgefängnis von Stuttgart-Stammheim am 18. Oktober 1977 widerlegen. Falsche Bescheidenheit muss sich Lehmann (Jahrgang 1964), der sich als IT-Spezialist und Betriebsrat in einem transnationalen Unternehmen vorstellt, nicht vorwerfen lassen: „Diese Untersuchung“, so sein Resümee nach 196 Seiten, „ist der bisher umfassendste und am besten dokumentierte Versuch, mehr Licht ins Dunkel zu bringen.“
Umfassend ist der Band in der Tat. Lehmann geht den Fragen nach, wie die Waffen in die Zellen der Häftlinge gelangt sein können und ob sie über ein Radio verfügten, sodass sie von der Befreiung des entführten „Landshut“-Flugzeuges in Mogadischu erfahren konnten.
Um es kurz zu machen, neu Erhellendes bringt die Untersuchung nicht. Und dort, wo sich der Autor mit der Rolle der Geheimdienste oder einer „Trilateralen Kommission“ beschäftigt, weht der Hauch der Konspiration. Über viele Jahre – vor allem in den 1980er Jahren – war die These vom Mord in Stammheim eine der wesentlichen Legenden, mit der die Stadtguerilla unter den Linksradikalen neue Mitglieder rekrutierte. 34 Jahre später und 13 Jahre nach der offiziellen Auflösung der RAF wird der Suizid im Hochsicherheitstrakt trotz verbliebener Ungereimtheiten kaum noch in Frage gestellt. Mit Ausnahmen halt, so wie die von Helge Lehmann. Retro eben.
■ Der Autor ist taz-Redakteur
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