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Archiv-Artikel

„Die Leute wollen saubere Helden“

OSTROCK 1981 wurden Pankow in Ostberlin gegründet. Nun ist ihr erstes Gemeinschaftswerk seit der Wende erschienen. André Herzberg und Jürgen Ehle über das Leben als DDR-Band zwischen Stasi und Musikgeschäft

„Toll, wie international Berlin heute ist. Früher war es graue Provinz“

JÜRGEN EHLE

INTERVIEW THOMAS WINKLER

30 Jahre Pankow, das ist eigentlich eine Mogelpackung. Es stimmt zwar, dass sich die Band 1981 in Ostberlin gründete. Aber seit der Wende waren sie nur sporadisch aufgetreten, galten offiziell nie als aufgelöst, blieben aber getrennt und verstritten. 1990 verließ Sänger André Herzberg im Zorn die Band, die mit „Langeweile“, „Rock ’n’ Roll im Stadtpark“ oder „Aufruhr in den Augen“ kontrolliert rebellische Klassiker aufgenommen hatte. Gerade als Herzberg 1996 seine Rückkehr verkündet hatte, wurde der Gitarrist und zweite Songschreiber Jürgen Ehle als Informeller Mitarbeiter der Stasi enttarnt. Damit lebt die Band bis heute. Ihr neues Album „Neuer Tag in Pankow“ (Buschfunk) ist das erste seit 1989, das Pankow selbst als Gemeinschaftswerk sehen. Es klingt trotzig und renitent, erinnert sich wehmütig, aber nie larmoyant an vergangene Zeiten. Rock ’n’ Roll für Erwachsene, mit der kantigen Gitarre von Ehle und Herzbergs Nölgesang. Dass Ehle und Herzberg an getrennten Orten interviewt werden mussten, ist Zufall. Aus praktischen Gründen wurden sie in der Nähe ihrer Wohnorte befragt, ihre Antworten nachher zusammengefügt.

taz: Herr Ehle, Herr Herzberg, im Titelsong Ihres neuen Albums „Neuer Tag in Pankow“ besingen sie wehmütig den Kerosinduft, der über dem Bezirk hängt, der Ihrer Band den Namen gegeben hat.

Jürgen Ehle: Das muss man metaphorisch sehen.

André Herzberg: Der Kerosinduft hat natürlich genervt, wenn man da gewohnt hat in der Einflugschneise, aber dieser Duft stand auch für eine Sehnsucht nach Ferne. Das war, wenn man so will, der Duft der großen, weiten Welt. Im Osten ist man ja immer nur geblieben.

Müssen Sie, wenn Tegel 2012 geschlossen wird, den Song aus dem Repertoire streichen?

Herzberg: Da geht es um ein Stück Heimat, das mehr ist als der Flughafen Tegel. Das Lied trifft die Melancholie, die momentan in der Band herrscht. Wir verspüren eine Sehnsucht nach einer Welt, in der man meinte, sich auszukennen. Eine Welt, die einem bei aller Scheiße auch vertraut war.

Außerdem heißt es in dem Song: „Paule Panke ist weg, aber ich bin immer noch da“. Wo ist Paule denn hin?

Ehle: Abgehauen. Viele Freunde sind weggegangen, manche aus ökonomischen Gründen, andere hat die Liebe anderswohin gezogen. Aber ich will nicht jammern. Ich finde Berlin immer noch faszinierend, ich finde auch toll, wie international die Stadt mittlerweile ist. Wenn man überlegt, was für ein graues Provinzkaff das früher war.

In einem anderen Song, „Korrekt, Korrekt“, beklagen Sie aber die Bionade-Boheme, die Ihr Ostberlin übernommen hat.

Herzberg: Das ist kein Rachesong. Mein Gefühl ist ambivalent: Die Lebensqualität hier ist tausendmal besser geworden. Es war doch nur ein Mythos, dass der Prenzlauer Berg so eine intellektuelle Hochburg war. Das war ein Proletenbezirk, der stank. In den wenigsten Kneipen war es schön und harmonisch. Ich habe mich immer nach einer Bürgerlichkeit gesehnt, und mir gefällt das hier. Ich habe nichts gegen Schwaben. Klischees sind fürn Arsch. Als Vater eines kleines Kindes lebt es sich hier gut.

Der Blick geht also nicht zurück im Zorn?

Herzberg: Nein, der Blick zurück ist nur ein bisschen melancholisch. Aber eine gewisse Generation hatte nach der Wende das Gefühl: Ich löse mich innerlich auf. Man hat sich Fragen gestellt: Was ist meine Identität? Nachdem man festgestellt hat, dass diese Gesellschaft, aus der man kam, ganz anders funktioniert hat, als man dachte. Das war eine extreme Form von Illusionsverlust.

Ging das der Band auch so?

Ehle: Ja, es ging einem zwar nicht unbedingt schlecht, aber es hat sich doch ein sehr starkes Gefühl der Ratlosigkeit breitgemacht.

Pankow hat nicht nur die Wende überstanden, sondern auch, dass Jürgen Ehle 1996 als IM der Stasi enttarnt wurde. Warum haben Sie das nicht selbst offengelegt?

Ehle: Mir hat das nicht gepasst, wie man mit den Leuten umgegangen ist, die das offengelegt haben. Bei manchen konnte man live im Fernsehen miterleben, wie sie fertiggemacht wurden.

Hatten Sie Angst?

Ehle: Das kann man Angst nennen. Ich wusste, dass die Rechnung kommen würde.

Sie waren in der Band zuständig dafür, Kontakte zu offiziellen Stellen zu halten.

Ehle: Ich war derjenige, der bei allen Institutionen angetanzt ist, ob das Zoll, Magistrat oder Generaldirektion für Unterhaltungskunst waren. Das ist heute noch so, dass André sagt: Ich kann mit denen nicht reden, geh du da mal hin. Wir wollten reisen, und dann blieb nach der ersten Tournee der Trommler im Westen. Auch der neue Trommler wurde gleich verhaftet, weil er denunziert wurde. Da waren alle offiziellen Türen zu, und wieder einmal habe ich versucht, auf anderem Wege doch noch was zu erreichen.

Sie hatten sich als IM verpflichtet.

Ehle: Die, mit denen ich geredet habe, wollten meine Westkontakte abschöpfen. Die Akte Pankow wurde bereits anderswo geschrieben, wie ich nach Andrés Akteneinsicht inzwischen weiß. In einer Zeitung stand eben wieder, Jürgen Ehle hatte von der Stasi den Auftrag, André Herzberg zu überwachen. Aber das ist totaler Nonsens. Ich habe mich einmal für ihn verbürgt, und zwar, dass er wieder nach Hause kommt, wenn man ihn reisen lässt.

Wie sehen Sie das, Herr Herzberg?

Herzberg: 1996 wäre ich daran fast krepiert, da war ich sehr verletzt. Heute sehe ich das in einem anderen Zusammenhang, so wie ich die ganze DDR in einem anderen Zusammenhang sehe, nämlich als großes Gefüge, in dem Jürgen seine Position hatte. Das ganze Land war so, und Jürgen war einer von Tausenden. Außerdem kommt natürlich dazu, dass ich in den Akten nichts gefunden habe, was persönlich denunzierend wäre. Die Enttäuschung besteht vor allem darin, dass er das nicht schon damals mit mir besprochen hat. Er hatte nicht das Vertrauen. Aber ich denke inzwischen auch: Das, was die Band als Kraft bedeutet, das ist mir wichtiger als diese Sache.

War das vom Rest der Band nicht naiv zu glauben, Jürgen Ehle könnte die ihm übertragene Rolle ausfüllen ohne größere Zugeständnisse?

Herzberg: In gewisser Weise. Er hat dafür gesorgt, dass die Band trotzdem arbeiten konnte. Er hat sich da zum Diener gemacht. Aber wenn ich gewusst hätte, dass das mit geheimen Treffen verbunden ist, dann wäre ich ausgestiegen. Wenn ich gewusst hätte, dass die DDR so diktatorisch ist, wenn ich einen Blick dafür gehabt hätte, was die DDR wirklich war, wenn ich gewusst hätte, dass die Diktatur so zersetzend ist bis in die privatesten Beziehungen hinein, dann wäre ich gegangen.

Ehle: Aber ich muss auch sagen, dass ich da eine Entwicklung genommen habe bis zu dem Punkt, an dem ich denen gesagt habe: Ich sage nichts mehr. Da wurde die Akte dann ja auch geschlossen und ein Abschlussbericht geschrieben.

Das ging, als die Band bekannt genug geworden war?

Ehle: Ja, das ging dann. Aber meine Ansichten hatten sich auch geändert. Das hat lange gedauert, aber ich bin zu anderen Ansichten gekommen.

Pankow waren die rebellischste der etablierten Rockbands in der DDR. Verstehen Sie, dass Ihre Fans enttäuschter waren als die der Puhdys, als deren Keyboarder als IM enttarnt wurde?

Ehle: Ja, ich verstehe das.

Herzberg: Meine eigene Wahrnehmung war eine ganz andere. Als es rauskam und ich mich auf die Bühne gestellt habe, um es zu thematisieren, wissen Sie, wie die Leute reagiert haben? Da hat das Publikum gerufen: Halt’s Maul, wir wollen Musik! Die Leute sehnen sich nach einer heilen Welt. Die wollen nicht, dass ihr Traum von den fünf Freunden, die zusammen Musik machen, angekratzt wird. Die wollen nicht wissen, dass einer bei der Stasi war. Die wollen saubere Helden. Dass wir auch Makel haben, wollen die Leute gar nicht wissen.

War Pankow ein Surrogat für unzufriedene DDR-Bürger?

Ehle: Das kann man schon so sagen. Wir haben zwar ein Lebensgefühl damals auf den Punkt gebracht, und das war wichtig für viele. Darüber können wir uns auch freuen. Aber uns war schon klar, dass wir eine Ventilfunktion übernehmen, dass wir benutzt wurden von der Kulturpolitik. Wir waren nicht so weit, dass wir das Regime stürzen wollten. Und ich glaube, viele unserer Fans auch nicht. Wir wollten, dass sich Dinge ändern. Aber wir waren auch jung und wollten unseren Spaß.

Herzberg: Ich habe mich immer schon eher als Clown gesehen und nie als Rebell.

Schon damals?

Herzberg: Ich bin mit der Maxime „Kunst als Waffe“ aufgewachsen. Dass das Quatsch ist, habe ich schnell gemerkt, schon lange vor der Wende, schon bei „Paule Panke“. Die Leute tanzen, die amüsieren sich, aber die Weltrevolution bleibt aus.