piwik no script img

Das unsichtbare Kapital

Die unbezahlte Arbeit im Haushalt hat paradoxerweise gerade in konservativen Kreisen einen hohen Wert – der sich nur schwer errechnen läßt  ■ Von Barbara Seel

Zu den Paradoxa der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zählt seit jeher die Mißachtung der in den privaten Haushalten unentgeltlich erbrachten Leistungen. Bereits 1920 hat der Nationalökonom Cecil Pigou das sogenannte Hausfrauenparadoxon formuliert: „Die Dienstleistungen von Frauen (gehen) ins Sozialprodukt ein, wenn sie gegen Lohn geliefert, dagegen nicht, wenn sie von Müttern und Ehefrauen kostenlos ihren Familien geleistet wurden. So sinkt das Sozialprodukt, wenn ein Mann seine Haushälterin oder Köchin heiratet.“

Sind die in den privaten Haushalten unentgeltlich erstellten Sachgüter und Dienstleistungen tatsächlich so erheblich, daß sie in der volkswirtschaftlichen Rechnungslegung berücksichtigt werden müssen? Haben die Haushalte nicht inzwischen große Teile ihrer produktiven Aktivitäten an Wäschereien und Kantinen, an Kindergärten und Altenheime vergeben? Die privaten Haushalte: Ambiente für die Freizeitgestaltung und – diese Sicht entspricht bester liberaler Tradition – höchst private Veranstaltungen, die niemanden, am allerwenigsten die amtliche Statistik, mehr als unbedingt nötig etwas angehen?

Für viele scheint es kein Widerspruch zu sein, einerseits die Privatheit des Privaten zu verteidigen, zugleich aber den privaten Haushalten – wie selbstverständlich – Schlüsselfunktionen für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft zuzudenken. So richten sich in der Umweltpolitik viele Hoffnungen auf Einsicht und Handlungsbereitschaft in den privaten Haushalten. Immerhin schätzen Fachleute den Anteil der Privathaushalte an der Umweltbelastung auf bis zu 50 Prozent. Hauswirtschaftliches Know-how im pfleglichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen wäre demnach ein hoch zu veranschlagendes volkswirtschaftliches Kapital.

Auch in anderen Hinsichten gibt es enge Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung auf der einen und der Haushaltsproduktion auf der anderen Seite. Arbeitsmarkttrends hängen zum Teil davon ab, inwieweit in den privaten Haushalten Erwerbstätigkeit an die Stelle der Hausarbeit tritt (und umgekehrt) und inwieweit eigenproduzierte Leistungen durch bezahlte Waren und Dienstleistungen ersetzt werden (und umgekehrt). Auch die Zukunft unseres Systems der sozialen Sicherung wird nicht zuletzt durch die Rolle der privaten Haushalte bestimmt. Ehrenamtliche Arbeit in Familien, etwa Erziehungs- und Pflegeleistungen, sind ein Element der sozialen Sicherung, das nur zu hohen Kosten durch Marktbeziehungen und sozialstaatliche Arrangements ersetzt werden kann.

Diese Beispiele zeigen, daß das Wirtschaften in der privaten Mikroeinheit den sozusagen „unsichtbaren“ Kapitalstock bildet, durch den die offizielle volkswirtschaftliche Wertschöpfung ermöglicht und strukturiert wird. Dies tritt erst recht zu Tage, wenn man schließlich die Bedeutung der privaten Haushalte für das Heranwachsen der nächsten Generation bedenkt. Ließen sich die in den privaten Haushalten unentgeltlich produzierten Leistungen bewerten, so wären also durchaus Korrekturen des berechneten Sozialprodukts und seiner Wachstumsraten zu erwarten.

Zur Quantifizierung der Haushaltsproduktion gibt es im Prinzip zwei Wege: Zum einen die direkte Messung der erstellten Haushaltsprodukte, („Output“), zum Beispiel in Kilogramm gewaschener Wäsche oder Quadratmeter gereinigter Bodenfläche; zum anderen die indirekte Messung über die Ermittlung der in den Produktionsprozeß eingebrachten Produktionsfaktoren („Input“), vor allem der aufgewandten Hausarbeitsstunden. Die Bewertung derartiger Größen hängt von den Alternativen ab, die sich für die Haushaltsproduktion anbieten. Damit wäre zunächst einmal grundsätzlich derjenige Anteil der Haushaltsaktivitäten auszuklammern, der seinen Zweck in sich selbst hat. Hierzu zählen Aktivitäten im persönlichen und im Freizeitbereich.

Bei den Bewertungsmöglichkeiten einzelner Elemente der Haushaltsproduktion ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen. Am plausibelsten ist die Bewertung des Haushaltsoutputs anhand der Preise von Marktäquivalenten, wie Mahlzeiten in Restaurants oder der Leistung von Reinigungsunternehmen. Bei komplexen Outputs wie zufriedenen Pflegepersonen oder lebenstüchtigen Kindern trifft dieses Verfahren aber begreiflicherweise auf Schwierigkeiten.

Die längste Tradition haben die input-orientierten Verfahren, und hier diejenigen, die am beobachteten Zeitaufwand anknüpfen. Die meisten Bewertungsvorschläge orientieren sich an Marktlöhnen. Die Diskussion um die richtige Vorgehensweise kann hier jedoch keineswegs als abgeschlossen gelten.

Aus ökonomischer Sicht kann eine korrekte Bewertung eigentlich nicht an einzelnen Elementen des Produktionsprozesses anknüpfen. Sie müßte vielmehr die Effekte zugrunde legen, die die Verknappung der Ressource „unentgeltliche Leistungen in privaten Haushalten“ auf den Haushalt selbst und auf die Gesamtwirtschaft hätte. Die für diesen Fall vorhersehbare Senkung der gesamtwirtschaftlichen Effizienz entspräche dem Wert der unentgeltlichen Haushaltsproduktion.

Natürlich ist die Vorstellung einer solchen Berechnung rein spekulativ und der Philosophie der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen völlig fremd. Sie verdeutlicht aber die Probleme einer Messung, die einzelne Elemente der Haushaltsproduktion aus ihrem Zusammenhang löst. Es ist angesichts der Schwierigkeiten sicher weise, wenn sich das Statistische Bundesamt zunächst auf die Erhebung der in den privaten Haushalten aufgebrachten Arbeitszeiten zu beschränken. Aus den Ergebnissen soll ein sogenanntes „Satellitensystem Haushaltsproduktion“ entwickelt werden, das man mit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verknüpfen will. Man würde auf diese Weise das anfangs skizzierte „unsichtbare“ ökonomische Potential genauer analysieren können. Der Ausweis eines monetären Wertes für die Haushaltsproduktion wäre demgegenüber zweitrangig und sollte im Hinblick auf seine Aussagekraft unter großem Vorbehalt interpretiert werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen