„Es geht um Befindlichkeiten“

■ Jammerfeminismus oder Karrierefrauen-Programm? Krista Sager über GAL-Frauenpolitik

taz: Gewalt gegen Frauen ist kein Wahlkampfschlager, sagt Ihre Parteikollegin Ulla Bussek. Darf es deshalb kein Schwerpunkt sein?

Krista Sager: Es ist mit Sicherheit ein wichtiges Thema. Ich glaube aber, daß die meisten Frauen die Frage der sozialen Spaltung und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme mehr bewegt. Es gibt außerdem sowohl realpolitische als auch linke Argumente, die vermuten lassen, daß eine Anti-Gewalt-Kampagne nach hinten losgehen könnte.

Wie das?

Die linke Seite fragt: Ist es klug, einen grünen Angstwahlkampf zu machen, wenn die CDU vorrangig auf einen Kriminalitätswahlkampf setzt. Ein realpolitisches Argument besagt: Frauen wissen, daß es Angstsituationen gibt, aber sie möchten nicht ständig als Opfer angesprochen werden. An beiden Argumenten ist etwas dran.

„Ein Frauenwahlprogramm liest doch niemand mehr“, glauben GALierInnen außerhalb der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen. Stimmen Sie dem zu?

Es wird seit langem darüber diskutiert, daß Frauen kein kleiner Spezialbereich sind und frauenpolitische Forderungen allen Programmteilen zugeordnet werden müssen. Das ist auch keine Links-Rechts-Debatte. Wir haben uns auf der letzten Frauen-Mitgliederversammlung für einen halbintegrativen Ansatz entschieden. In der Frauenpräambel sind die entsprechenden Leitlinien noch einmal zusammengefaßt.

Krista Sager an der GAL-Spitze ist ein Stück Frauenpolitik, sagt eine Ihrer Fans. Sind Sie ein feministischer Wahlkampfschlager?

Frauen an der Spitze sind mit Sicherheit kein Ersatz für Frauenpolitik. Aber gegenüber anderen Parteien ist es ein Pfund, mit dem wir wuchern können.

Sie sind eigentlich keine ausgewiesene Frauenpolitikerin. Warum haben Sie sich für die traditionell männlich besetzten Themen wie Haushalt und Wirtschaft entschieden?

Ich habe besonders in der Zeit der Frauenfraktion gemerkt, daß Frauen diese Bereiche eher den Männern überlassen. Gerade deshalb habe ich mich für diese Themen entschieden. In der Bürgerschaft habe ich Frauenpolitik zusammen mit Wirtschaft vertreten. Die Kombination mit den sogenannten „harten“Themen gibt der Frauenpolitik einen gewichtigeren Stellenwert. In der öffentlichen Wahrnehmung, bei den Parteien, Organisationen und Verbänden, existiert ein nicht ausgesprochenes Ranking in „harte“und „weiche“Bereiche. Das kann man nicht ignorieren. Wenn Frauen ein „weiches“Thema besetzen, dann passiert oft eine doppelte Abwertung.

Worüber wird frau sich auf der morgigen Frauen-Mitgliederversammlung eigentlich streiten?

Ich glaube, es geht sehr stark um Befindlichkeiten. Für einen echten Streit gibt es eigentlich nicht genug Substanz. Die LAG Frauen muß akzeptieren, daß ihre Arbeitsergebnisse letztlich zur Diskussion gestellt werden.

Von inhaltlichen Differenzen keine Spur?

Diskussionsbedarf gibt es ganz sicher bei der pauschalen Forderung nach Quotierung aller Haushaltsmittel. So kann man keine Haushaltspolitik machen. Auch beim Erziehungsurlaub bringen gesetzliche Zwangsauflagen für Männer nichts, solange die Verdienstunterschiede zwischen den Geschlechtern so groß sind.

Der Vorwurf der LAG Frauen lautet, Feminismus dürfe man heutzutage bei der GAL gar nicht mehr in den Mund nehmen.

Das halte ich für unberechtigt. Es geht nicht um Karrierefrauen. Die jüngeren Frauen haben andere Erfahrungswerte und einen anderen Blick als die in meinem Alter. Wir müssen sehr offen darüber reden, wie wir es schaffen, Frauen mit sehr unterschiedlichem Selbstverständnis anzusprechen.

Also eine bestimmte Klientel nicht mit dem Wort Feminismus zu verschrecken?

Man muß die Frauen dort abholen, wo alle verstehen, was gemeint ist. Genau hier liegt das Problem mit dem Begriff Feminismus. Innerhalb der GAL kann man davon ausgehen, daß alle ihn ähnlich sehen. Ich merke aber, daß es in der Gesellschaft nicht so ist. Während die einen Feminismus mit emanzipiert und selbstbestimmt verbinden, wird er von anderen mit zickig und wehleidig besetzt. Wenn man nur das Wort Feminismus fallen läßt, sagt man noch nicht, was man politisch will.

Ist die Empörung der LAG Frauen nicht verständlich, wenn plötzlich ihre ganze Arbeit in Frage gestellt wird?

Natürlich, das ist etwas sehr Menschliches. Was mich ärgert, ist der Versuch, diesen Konflikt zu ideologisieren. Es ist kein Streit zwischen Linken und Realas. Die Verdächtigung, Frauenpolitik solle nun „neoliberalisiert“werden, ist an den Haaren herbeigezogen. Ich bin über die emotionale Aufladung der Debatte sehr erschreckt und befremdet.

Interview: Silke Mertins