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„Eigene Wertmaßstäbe entwickeln“

■ Ab heute „Werkstatt für feministische Bewegungskultur“: Interview mit den Veranstalterinnen

Am Fachbereich Sportwissenschaft der Universität Hamburg lehren elf Professoren. Die -Innen können wir uns getrost schenken: Es handelt sich ausschließlich um Männer. Mit der von Studentinnen initiierten „Werkstatt für feministische Bewegungskultur und Sport“sollen ab heute neue Akzente in einer Wissenschaft gesetzt werden, die ganz offensichtlich so maskulin besetzt ist wie ihr Gegenstand. Die taz traf sich vorher mit den Veranstalterinnen Nina Feltz und Katharina Fietze sowie mit Mechthild Keller, Anleiterin des Work-shops „Bewegungsangebote und sexualisierte Gewalt“.

taz: Was bietet die „Werkstatt“den interessierten Hamburgerinnen?

Nina Feltz: Es wird Workshops, Arbeitsgruppen und Diskussionsrunden geben. Getestet werden können unter anderem frauenspezifische Ansätze in Sportarten wie Judo, Akrobatik, Paddeln und Schwimmen.

Was ist an diesen Angeboten feministisch?

Nina Feltz: Die Konzeption der Angebote basiert auf den Bewegungserfahrungen von Frauen. Wir wollen es den Teilnehmerinnen ermöglichen, eigene sportliche Wertmaßstäbe zu entwickeln. Die etablierten Sportarten orientieren sich ja daran, was mann gut kann. Frauen laufen in dieser Inszenierung lang trainierter maskuliner Stärke hinterher. Da, wo die Sportlerinnen den Männern überlegen sind, treten diese erst gar nicht an: Bis heute läßt sich kein Mann bei bedeutenden Wettbewerben auf dem Schwebebalken blicken.

Wie sieht es mit der Umsetzung dieses Anliegens an der Universität aus?

Katharina Fietze: Frauenforschung ist bei uns noch nicht institutionalisiert, außerdem haben wir Mühe, Lehraufträge für Frauenthemen zu bekommen. Selbst die von den Studentinnen mit viel Elan erkämpfte Fachausbildung Frauenfußball muß immer wieder neu beantragt werden, obwohl sie sich als voller Erfolg erwiesen hat.

Mechthild Keller: Die Befassung mit dem Körper hat ja derzeit Konjunktur. Gerade in der Sportwissenschaft könnte die Tatsache, daß der Körper von Frauen Angriffspunkt sexueller Gewalt ist, der Ansatzpunkt zur Entwicklung gezielter Bewegungsangebote sein. Die Veranstaltungen, die sich diesem Problem stellen, wurden jedoch gekippt – das halte ich gesellschaftlich schlicht für dumm. Der Fachbereich ist aufgrund seiner anachronistischen Arbeitsweise sehr heftig kritisiert worden – zu Recht. Denn offensichtlich ist man nicht in der Lage, innovative Angebote von gesellschaftlicher Relevanz zu fördern.

Nina Feltz: Auch hier am Fachbereich wird oft starr am traditionellen Leistungsraster festgehalten. Wir wissen von über 30 Frauen, die in den letzten Semestern keinen Leistungsnachweis in praktischen Veranstaltungen bekamen, weil sie als nicht „lehr-, lern- und leistungsfähig“galten.

Gleichzeitig gibt es aber auch in der „Werkstatt“einen Workshop „Werfen mit Lust, für jede möglich“. Brauchen Frauen selbst beim Werfen Nachhilfe?

Mechthild Keller: Tatsache ist, daß Männer in der Regel weiter werfen können als Frauen – dafür aber auf dem Schwebebalken ins Schwitzen kommen. Gerade im Sport schlagen sich extrem weibliche und extrem männliche Sozialisationen besonders deutlich nieder. Interessant sind für uns in diesem Zusammenhang die bewegungskulturellen Grenzüberschreitungen.

Welchen Vorteil haben derartige Grenzüberschreitungen für Frauen?

Mechthild Keller: Wenn Frauen beispielsweise einem Angriff nicht anders zu begegnen wissen als mit klassisch weiblicher Passivität, haben sie wenig Chancen, unbeschadet aus der Situation hervorzugehen. Traditionell männlich besetzte Kampfbereitschaft hingegen zahlt sich aus. Bestätigt wird dies durch eine Studie der KriminalhauptkomissarinSusanne Paul aus Hannover. Die Untersuchung von 289 Überfällen belegt, daß schon die Kampfbereitschaft einer Frau in 95 Prozent der Fälle eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung verhindern kann.

Wie steht es mit der Realisierung feministischer Sportkonzepte außerhalb der Universität, beipielsweise an den Schulen?

Nina Feltz: In den Lehrplänen wird die Koedukation, also das gemischtgeschlechtliche Unterrichtsmodell, noch immer klar favorisiert. Es steht aber auch fest, daß die Mädchen im Sportunterricht mit Jungen zu kurz kommen. Deshalb bleibt den Lehrerinnen nur die Möglichkeit, die „Mädchenbrille“aufzusetzen und die Jungen in die Schranken zu weisen – bei heftig pubertierenden Achtkläßlern nicht immer ein Vergnügen.

Ist die Koedukation aus feministischer Sicht überholt?

Katharina Fietze: In der Frauenforschung wird eine Mischform favorisiert. Optimal wäre es, wenn die Mädchen sowohl geschlechtshomogene als auch Sportkurse mit Jungen nutzen könnten.

Fragen: Claudia Thomsen

Die „Werkstatt für feministische Bewe-gungskultur und Sport“wird heute um 15 Uhr in der Feldbrunnenstraße 70 eröffnet. Morgen ab 10 Uhr beginnen die einzelnen Workshops; ab 22 Uhr ist Party in der „Frauenkneipe“(Stresemannstraße 60). An den Kursen kann ohne Voranmeldung teilgenommen werden. Weitere Informationen unter Tel. 881 39 99 oder 29 70 02.

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