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„Und wieder bläst der Wind eiskalt von vorne“

■ Charlotte von Mahlsdorf als Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi. Der Fall läßt Schwule aus Ost und West debattieren über den kleinen Unterschied der Herkunft

Die Nachricht ging nah: „Lottchen“ war IM. IM „Park“ von 1971 bis 1976. Sie habe in einer Zwangssituation einen vorgedruckten Zettel unterschrieben, erklärt sie – eine Verpflichtungserklärung als IM, wie sich herausstellte. „Der Staatssicherheit“, hat Charlotte von Mahlsdorf gestern im taz-Interview gesagt, „habe ich nur etwas von amerikanischen Soldaten erzählt. Mehr nicht.“

Da lagen nun zwei junge schwule Männer, der eine Ost, der andere West, auf der Wiese am Kreuzberg und diskutierten über „Lottchen“, über das Dasein als Inoffizieller Mitarbeiter, über die Stasi und über Ost und West. Keiner von beiden konnte sich vorstellen, daß „Lottchen“ jemandem geschadet habe, schon gar nicht den Homosexuellen in der DDR. „Lottchen“ und andere verraten? Nein, Lottchen doch nicht! „Eine IM-Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben“, meint der Ostler, „das heißt nicht immer, Denunziant gewesen zu sein.“ Aber das war auf der Wiese am Kreuzberg gar nicht die Frage. Die Frage war: Wie lange wird noch über Ost und West geredet werden müssen?

Sieben Jahre danach. „Ich finde es arrogant, wenn die West-Medien nun abfällig über Charlotte urteilen“, sagt Rosa von Praunheim. „Mich macht das ärgerlich.“ Wie könne ein Westler zynisch über eine Situation reden, in der er sich nie befand. „Charlotte hat es zu DDR-Zeiten schwer gehabt“, sagt von Praunheim. Sie habe gekämpft ums Überleben. „Und wieder bläst der Wind eiskalt von vorne“, hat „Lottchen“ einst ein Lied auf ihrer CD genannt.

Unterschiede zwischen Ost- und West-Schwulen – Rosa von Praunheim gibt zu, sie seien noch immer da. „Die Ost-Schwulen schützen ihre Kultur“, schützen ihre Vergangenheit. Sie haben mehr Gemeinschaftssinn, „eine Schutzgeschichte“, haben nicht wie Westler eine Streitkultur, sind nicht so aggressiv, nicht so promisk – im allgemeinen jedenfalls.

In den Kneipen und Bars, in Schöneberg und in Prenzlauer Berg ist Ost und West ein Randthema geworden. Daß die Ost- Schwulen im Osten weggehen und die West-Schwulen im Westen, sei „ein ganz normales Kiez-Verhalten“, sagt Gerhard Hoffmann, seit zwanzig Jahren Inhaber des Schöneberger Cafés Anderes Ufer. Wo man wohnt, da gehe man aus. Er selbst ist nur selten in Prenzlauer Berg, und wenn, dann „gehe ich ins Schall und Rauch, weil ich da jemanden kenne“. Und vor der Wende? „Nur ungern bin ich rübergegangen.“ Aber das sei ein Systemproblem gewesen – kein menschliches. „Ich konnte mich nie mit dem System da drüben anfreunden.“ Jens Rübsam (Ost)

Am 10. Juni findet in der Akademie der Künste im Rahmen des Programms „Homo 2000“ ab 19 Uhr ein Abend unter dem Motto „DDR – schrill und bunt?“ statt.

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