: Das wilde Tanzen der Protestbriefe
■ Das Straßentheater „Schluck und Weg“rollt im Dienst medizinischer Aufklärung
Eine viel zu große Spritze sticht in den riesigen hochgestreckten Hintern auf der Seitenwand des bunten Pharmamobils, Dollars fallen in eine Riesenhand. Pharma-Gayer und Riesenpillen, Transpulmin-Man und Valiumschachteln mit Gliedmaßen entschweben dem Gefährt. Ein Spacemusical im freien Medikamentenraum oder die Zutaten für einen anständigen Post-Gesundheitsreform-Alptraum? Auf der Stirnseite des Busses steht „BUKO Pharma-Kampagne“. Das gibt einen Anhaltspunkt, aber erst „Straßentheatergruppe Schluck und Weg“auf der anderen Seite ist eine echte Spur.
Das rollende Straßentheater Schluck und Weg ist wohl Norddeutschlands älteste freie Theatergruppe, geboren 1983 bei einem Treffen der Pharma-Kampagne des „Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen“(BUKO). Die Aussicht auf den tausendsten Infostand schien einigen Pharma-Aktivisten, darunter auch dem Hamburger Jo Mühlberger, wenig verlockend, und so wurde statt eines Tisches ein Tour-Bus gesucht. Seitdem proben er und die Regisseurin Barbara Frey jedes Jahr im Sommer mit acht bis zehn „Pharmatheaterreisenden“ein Programm zwischen Novalgin und Valium, das dann auf Deutschlandtournee geht.
Martin Elbl, der mit Mühlberger in Hamburg die diesjährige Tour vorbereitet, erklärt den politischen Hintergrund: „Der BUKO ist ein Netzwerk von Dritte-Welt-Gruppen. Das Anliegen unserer Pharma-Kampagne ist die Information über fragwürdige Präparate der deutschen Pharmaindustrie.“Schluck und Weg konzentriert sich speziell auf deren Exporte: „Ein Großteil der ausgeführten Präparate sind unwirksam, ungeeignet oder sogar gefährlich. Neben Medikamenten, die versprechen, das zu leisten, was nur ausreichende Ernährung könnte, sind in vielen Entwicklungsländern solche auf dem Markt, die hier längst nicht mehr zugelassen wären.“
Die Programme von Schluck und Weg sind eine Mischung aus Sketchen, Kostümtheater, Parodien und Liedern. Mit Martin hat die Truppe vor einigen Jahren musikalische Unterstützung bekommen, und Jo spielt oft den Moderator. Sie arbeiten in der Tradition von Augusto Boals „unsichtbarem Theater“, damit ihre Programme über bloßen Passanten-Blickfang hinausgehen. Politischer und theatraler Anspruch sollen vereint werden, doch gestaltet sich die Arbeit mit der ästhetischen Form „Straßentheater“zunehmend schwieriger: „In der Anfangszeit war das per se interessant“, so Jo Mühlberger, „aber heute ist es nicht nur etwas altmodisch,sondern selbst Aufmerksamkeit ist damit schwerer zu bekommen.“
Schluck-und-Weg-Theater ist laut, bunt und macht Spaß. Es läßt erwünschte Effekte und Nebenwirkungen eines Medikaments miteinander diskutieren, Wirkstoffe kämpfen, Pharmamanager singen, Protestbriefe tanzen oder Zulassungsnummer lachen. Und manchmal kann man mit Prof. Grzimek in einer seiner Folgen von Medikamente in freier Natur auf deren Aussterben hoffen.
Matthias von Hartz
„Schluck und Weg“spielt heute in Husum
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