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Reflexion der Komplexität der Betroffenheit

■ Die „beiträge zur feministischen theorie und praxis“ wurden 20

Am Anfang reiften noch Mädchenblütenträume: keine Zwänge, keine Redaktionsroutine, keine Abgabetermine. Aber das hieß bald auch: keine Veröffentlichung mehr. Wahrscheinlich nur, weil Ute Annecke in den achtziger Jahren einen Herausgeberverein, eine feste Redaktion und ebenso feste Abgabetermine einrichtete, konnten die beiträge zur feministischen theorie und praxis am Samstag den 20. Jahrgang dieser größten, ältesten und wohl auch wichtigsten theoretisch-feministischen Zeitschrift der Republik feiern.

Wobei die Redaktion schon mit dem Wörtchen „theoretisch“ ihre Schwierigkeiten hat. Den Redakteurinnen der beiträge graust es vor dem Elfenbeinturm. Sie wollen vor allem eines: die Verankerung von Wissenschaft in der Praxis. Oder, wie es im Redaktionseditorial des Jubiläumsbandes heißt: „Die Ebene der Betroffenheit nicht zu Gunsten einer verwissenschaftlichenden Distanz aufgeben, sondern in ihrer Komplexität reflektieren.“ So verquast kommt leider mancher Satz daher. „Feminispräch“, das die Redaktion ausdrücklich vermeiden will, quillt aus so mancher Seite.

Vielleicht sind solche leicht verkrampften Schritte nicht zu vermeiden, wenn eine Zeitschrift die Balance sucht auf dem selbstgewählten Grat zwischen „populärer und elitärer Wissenschaft“. Aber mit der Popularität ist das so eine Sache: 3.500 Exemplare werden pro Band gedruckt und hauptsächlich, sagt Redaktionsmitglied Rose-Marie Beck, von Professorinnen und Studentinnen gelesen. Und Autorin Viola Roggenkamp gibt im Glückwunschbeitrag freimütig zu, daß es sich im intimen Kreis schöner schreiben und lesen läßt: „Es gibt die ,beiträge‘ nicht am Kiosk. Ein wichtiges Kriterium.“

Dennoch sind die beiträge einflußreich: Maria Mies' methodische Postulate, die sie im ersten Band 1978 formulierte, wurden zum Fundament des feministischen Diskurses und Pflichtlektüre in allen Propädeutika zur Frauenforschung: Weg mit der vorgeblich wertfreien Wissenschaft! Her mit der bewußten Parteilichkeit! Frauen sollten Forschung be- und Veränderung vorantreiben.

Einflußreich? Zwanzig Jahrgänge später stellt Redakteurin Brunhilde Sauer-Burghard fest, daß sich in den letzten Jahren trotz Quoten und Förderplänen nichts wesentlich zum Besseren der Frauen verändert hat. Im Gegenteil, sagt sie: „Das Patriarchat hat zugelegt.“

Einflußreich dennoch. Mit Debatten über Frauen als Mittäterinnen, über die neue Mütterideologie oder über den Versuch einer Theorie sexueller Gewalt setzten sich die beiträge immer wieder an die Spitze aktueller Diskussionen. So gab das fünfköpfige Redaktionsteam, das ebenso wie alle Autorinnen ohne Bezahlung arbeitet, trotz allem ein kräftiges „Weiter so!“ aus. Inhaltlich und optisch, hofft Ute Annecke, werden die beiträge in der bunten Welt der Farbfotos und Infografiken auch in Zukunft mit dem Reiz anspruchsvoller Strenge locken. Ellen Hasenkamp

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