piwik no script img

Wahlverwandt-schaften in der hanseatischen Sozial-demonarchie

Wenn es um die Macht geht, kennt Hamburgs SPD keine Verwandten mehr. Die, die man für verhinderte Mitglieder der sozialdemokratischen Sippe hält, die GAL, schon gar nicht. Erbhöfe werden nur in der königlichen Familie weitergereicht. Wer zu den roten Royals gehört, wer sonst noch mit wem könnte und was passiert, wenn Voscherau zurücktritt, verrät  ■ Silke Mertins

Nicht nur bei Hofe wird überlieferten Regeln Respekt gezollt. Auch in den ehrwürdigen Gemäuern des Hamburger Rathauses, in denen der Senat tagt, gilt die Etikette. Obwohl das Rathaus erst 100 Jahre alt ist, glaubt man am Tatort der politischen Entscheidungen, die hanseatische Pfeffersack-Tradition eines ganzen Jahrtausends einzuatmen. Der höchste Stuhl ist dem Ersten Bürgermeister vorbehalten. Noch ist er „der erste unter gleichen“. Nach der Wahl aber wird der dann gewählte Senatschef, so will es die reformierte Verfassung, eine Richtlinienkompetenz und damit das letzte Wort haben.

Neben dem Primus darf der Zweite Bürgermeister sitzen; in der Regel einer, mit dem die Sozialdemokratische Partei zu Hamburg widerwillig ein Regierungsbündnis eingegangen ist. Immer wieder erzählte man sich im Rathaus das Gerücht, Bürgermeister Henning Voscherau hätte bei den Koalitionsverhandlungen 1993 der ungeliebten grünen Herausforderin Krista Sager schon mal das Amtszimmer gezeigt, so wie man einer sehr hungrigen Löwin die Antilopenkeule hinhält, um sie dann wieder wegzuziehen.

Die übrigen SenatorInnen sitzen nach dem „Anciennitätsprinzip“am Tisch. Daß man sich hier weder menschlichen Bedürfnissen wie Essen und Trinken hingibt noch Jacketts oder Krawatten abgelegt, daß nicht laut gesprochen, geschweige denn gestritten wird, versteht sich von selbst. Macht braucht einen emotionsresistenten Rahmen.

„Die Mentalitäts-Differenz“, sagt GAL-Fraktionschef Willfried Maier, „ist zwischen Sozialdemokraten und GALiern das größte Problem.“Das herrschaftliche Gebaren der Sozis „treibt unsere Leute zur Weißglut“. Die machtgewohnte SPD vom Sockel zu stürzen, hieß dreieinhalb Jahre lang die Devise der Opposition. CDU und GAL flirteten mit einem schwarzgrünen Bündnis. Selbst Altbundeskanzler Helmut Schmidt besah sich vor wenigen Monaten traurig seine Hamburger SPD und kam zu dem Schluß, daß der Stadt „ein Wechsel“, ganz gleich welcher, „guttun“würde. Die Genossen konnten es nicht fassen. „Ich mußte daran denken“, giftete ein führender Sozialdemokrat, „was die Eskimos mit ihren Alten machen.“

Die Angst, daß die rote Monarchie im Elbreich gestürzt werden könnte, ist heute, einen Tag vor den Bürgerschaftswahlen, unbegründeter denn je. Vergessen sind Verschwörungen jenseits der SPD. Alle, alle rutschen auf den Knien vor seiner Majestät, dem Bürgermeister, und betteln um seine Gunst.

Doch wenn es um die Macht geht, kennt die Sozialdemonarchie keine Verwandten mehr. Als Kronprinzen und -prinzessinnen kommen nur Mitglieder der engeren königlichen Familie in Betracht. Und die werden bekanntlich nicht gewählt. Zu den roten Royals gehört in jedem Fall Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow. Wann immer der Pöbel pöbelt, wird er vom Bürgermeister zum Unruheherd abgesandt: in die Hafenstraße, in die Bavaria-Brauerei, ins Hafenkrankenhaus und so fort. Er gilt als einer der engsten Vertrauten Voscheraus. Doch trotz seiner guten Manieren und ausgeprägten Loyalität ist der seitengescheitelte Sozialdemokrat kein Thronfolger, sondern ein Königsmacher. Wo Voscherau hingeht, wird auch er sein; er wird seinen Spuren folgen, aber nicht in seine Fußstapfen treten.

Einer, der sich als kleiner Prinz empfindet, ist der vom Stamokapler zum rechten SPDler mutierte Umweltsenator Fritz Vahrenholt. Doch der auf den rechten Weg Zurückgeführte, dem man Wutanfälle im Stile Rumpelstilzchens nachsagt, mag noch so viel Standfestigkeit an der Seite Voscheraus zeigen – auf seinen Kopf paßt keine Krone. Ihm fehlen die Ausstrahlung eines Souveräns und der dazugehörige Hofstaat.

Schon selbst ein kleiner König ist indes Finanzsenator Ortwin Runde. Der ostfriesische Wonneproppen mit der roten Nase beherrscht sein linkes Nebenkönigreich souverän. Wie der Zweitgeborene einer Dynastie wartet der 53jährige mit dem Messer im Gewande auf seine Chance. Augenblicklich herrscht freilich Waffenstillstand. Motto: Schielst du nicht auf meine Kronjuwelen, leg ich auch an deine keine Hand an.

Dennoch könnte es aber auch zu einem Generationswechsel kommen. Ein echter Kronprinz ist Olaf Scholz. Der gelassene 39jährige mit dem zurückweichenden Haaransatz übt derweil als Altonaer SPD-Chef das rotgrüne Regieren und macht sich mit stillem Zuarbeiten und dezenten Ränkespielen hinter den Kulissen um die Krone verdient. Ein gemäßigter Linker, der globale Moderne und hanseatische Tradition zu vereinen sucht. Doch seine Stunde hat wahrscheinlich noch nicht geschlagen.

Wenn König Henning tatsächlich am Sonntagabend die „Schmerzgrenze“empfindet und im Angesicht eines Wahlergebnisses von deutlich unter 40 Prozent zurücktritt, ist die Thronfolge letztlich ungeklärt. Die SPD ist auch deshalb so bestürzt über die beleidigten Erpressungsversuche des Bürgermeisters gegenüber dem Volk – entweder ihr wählt mich oder ich liebe euch auch nicht –, weil sie ein Rücktritt völlig unvorbereitet treffen würde.

Das lange rechtslinke Ringen um einen neuen Fraktionsvorsitzenden vor eineinhalb Jahren ist allen noch in unschöner Erinnerung. Den royalen Segen erhielt die Alt-Voscherau-Komplizin Elisabeth Kiausch, die am ehesten mit der britischen Prinzessin Anne zu vergleichen wäre; auch sie ist dem Pferdesport verfallen und letztlich nur eine Platzhalterin für eine Erbfolge, auf die man sich noch nicht geeinigt hat.

Ähnlich würde es dem linken Fraktions-Vize und Ex-Senator Jan Ehlers ergehen. Er gehört zum alten SPD-Adel und ist mit 58 Jahren zu alt für einen Thronfolger. Doch der redegewandte Wortführer der Linken könnte zur Not als Interims-Lösung akzeptiert werden.

Scharf auf royale Ehren ist zwar auch so manche aristokratische Dame. Doch die jüngeren roten Frauen haben nicht wirklich eine Chance. Vize-Partei-Chefin Dorothee Stapelfeldt hat sich mit ihrem hastigen und unabgesprochenen Griff nach dem Fraktionsvorsitz schon 1996 unbeliebt gemacht. Die Senatorinnen Helgrit Fischer-Menzel (Soziales, Arbeit, Gesundheit) und Rosemarie Raab (Schule und Jugend) können angesichts ihrer unpopulären Politik froh sein, wenn sie nach der Wahl nicht exkommuniziert werden.

Alle ernsthaften Alternativen zu Voscherau haben eines gemeinsam: Mit ihnen käme das Zustandekommen einer rotgrünen Regierung nicht dem Versuch gleich, der britischen Monarchie Zeitgeist nahezubringen. Denn auch wenn König Henning zuweilen – vor der Wahl – große Mühe darauf verwendet, sich unters Volk zu mischen und selbiges zu begreifen, so ist er doch viel zu überheblich, um die Nicht-Tüchtigen, Nicht-Anständigen und Nicht-Fleißigen oder gar die GAL als seinesgleichen zu betrachten.

Das unterscheidet ihn von jenen Royals, die überzeugt sind, daß die Grün-Alternativen dem Grunde nach uneheliche Abkömmlinge der sozialdemonarchischen Familie sind. Schwer genug fällt es dem roten Rotgrün-Fan, zu begreifen, daß die GALier etwas anderes sein sollen als mißratene Sozis. Deswegen hält man es ja auch für ausreichend, im Koalitionsvertrag das SPD-Programm niederzuschreiben.

Doch so groß die Freude bei der GAL wäre, den entkronten Voscherau auf der Abgeordnetenbank sitzen zu sehen, so groß ist die Panik bei den Sozis. Das Geheimnis der Monarchie ist die Kontinuität. Das Volk schätzt es nicht, mit royalem Liebesentzug bestraft zu werden. Selbst die Grünen akzeptieren letztlich das monarchische Herrschaftsprinzip und bieten sich als „das republikanische Element“im königlichen Voscherau-Senat an, sagte GALierin Anna Bruns erst vor wenigen Tagen. Schließlich „können wir uns unsere Sozialdemokraten nicht klonen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen