: Stundenlohn zwischen 1,70 Mark und 50 Mark
■ Mehr als ein Drittel der Schüler arbeitet in der Freizeit, die Hälfte davon verstößt gegen das Kinderarbeitsverbot. Dies ergab eine Umfrage der Senatsverwaltung für Soziales
Kinderarbeit ist verboten. Kinder über 13 Jahre dürfen aber nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz stundenweise „leichte und geeignete“ Tätigkeiten machen. Schüler über 15 Jahre dürfen ihr Taschengeld in den Ferien für maximal vier Wochen aufbessern.
Obwohl das Jugendarbeitsschutzgesetz, das erst im März dieses Jahres neu erlassen wurde, Kinder und Jugendliche schützen soll, ist Rosemarie Kienau von der Senatsverwaltung für Soziales mit der neuen Fassung nicht zufrieden: „Die Begriffe leichte und geeignete Tätigkeiten sind ein unbestimmter Rechtsbegriff“, kritisiert die Referentin. Im alten Gesetzestext war die Beschäftigung von Kindern, die die zehnte Klasse noch nicht abgeschlossen haben, unter anderem auf Erntejobs, Zeitungsaustragen und Handreichungen beim Sport (Balljunge beim Tennis) beschränkt.
Es werden zwar immer wieder Verstöße festgestellt, doch einen Überblick über das Ausmaß gibt es nicht. Zuständig für die Einhaltung des Jugendarbeitsschutzes ist das Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (Lafa). In den vergangenen zwei Jahren hat das Lafa insgesamt 310 Beschäftigungen beanstandet, in 29 Fällen wurden Bußgelder bis zu 5.000 Mark verhängt. Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden gegen eine Filmproduktion und gegen einen Zirkusbesitzer eingeleitet, die Kinder ohne Genehmigung beschäftigt hatten.
Wollen Kinder am Theater, beim Film, im Fernsehen, beim Hörfunk oder bei Modeschauen auftreten, muß das Lafa dies genehmigen. 1995 wurden über 2.500 solcher Ausnahmegenehmigungen erteilt. Das Lafa achtet auch bei Baustellenkontrollen darauf, ob Schüler dort unerlaubte Tätigkeiten verrichten. Nach Angaben von Referatsleiter Eginhard Wonneberger sind Baujobs begehrt. „Da verdienen sie mehr als beim Kistenschleppen bei Aldi.“ Bei den 8.000 Kontrollen im vergangenen Jahr seien keine Verstöße festgestellt worden. Auch dieses Jahr ist das Lafa nicht fündig geworden. Das überrascht Wonneberger nicht. „Warum sollten größere Firmen Kinder und Jugendliche einstellen“, fragt er, „die Gefährdung wäre zu groß.“
Auf kleineren Baustellen sei das schon eher möglich. Im vergangenen Sommer war ein 15jähriger Schüler, der beim Ausbau eines Dachgeschosses mithalf, am ersten Arbeitstag tödlich verunglückt.
Als die Senatsverwaltung für Soziales 1994 eine anonyme Befragung von 6.500 Schülern an 22 Schulen durchführte, sind nach Angaben von Rosemarie Kienau „bedenkliche Sachen rausgekommen“. Die 3.180 ausgewerteten Fragebögen hatten ergeben, daß mehr als ein Drittel der Schüler in der Freizeit arbeitet, mehr als die Hälfte nicht nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz. Zehn Prozent der Jungen hatten angegeben, auf Baustellen Abrißarbeiten ausgeführt zu haben. Ein 13jähriger Junge hatte stolz geschrieben, daß er sechs Stunden am Tag „wie ein richtiger Arbeiter“ Gerüste aufgebaut hatte. Eine „überraschend große Anzahl“ hatte angegeben, abends als Barkeeper für Stundenlöhne zwischen 15 bis 50 Mark pro Stunde zu arbeiten. Beliebt sind auch Jobs bei Tierärzten, wo Kinder „aus Spaß“ für 1,70 Mark pro Stunde arbeiten.
An erster Stelle rangieren bei den Jobs Arbeiten in fremden Haushalten, wie Babysitten, Einkaufen und Putzen. Ähnlich begehrt sind Jobs als Zeitungsausträger. An dritter Stelle folgen Arbeiten im Handel. Monika Zachert von der Handelsgewerbeaufsicht beim Lafa hat bei ihren Kontrollen bisher „kaum Verstöße“ festgestellt. Zur Familie gehörende Kinder „helfen in der Regel nur für ein paar Stunden aus“. Zachert räumt aber ein, daß das schwer zu kontrollieren sei. Besorgniserregend dagegen findet er, daß „einzelne Handelsketten“ zunehmend Gymnasiasten beschäftigten, weil sie billiger als Arbeitslose seien.
Ein Vorwurf, den zumindest Aldi und Kaiser's nicht auf sich sitzen lassen wollen. Regionalleiter Klaus Guss von Kaiser's, die 200 Filialen in der Stadt haben: „Wir wollen nicht in den Ruf kommen, billige Arbeitskräfte zu beschäftigen.“ Schüler würden nur im Rahmen eines maximal vierwöchigen Betriebspraktikums beschäftigt. Barbara Bollwahn
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