: Schnurstracks in die Privatisierungsfalle
■ Der MDR setzt so radikal wie sonst kein Sender im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Privatisierung. Doch nicht nur Gewerkschafter schreien Zeter und Mordio: Ausgerechnet im engsten Beraterkreis
Stolz trat Udo Reiter vor den Rundfunkrat: „Wir haben Neuland innerhalb des öffentlich- rechtlichen Rundfunks betreten“, verkündete der Intendant. Die Privatisierung von Teilen des MDR habe „strategische Bedeutung“. Der Rundfunkrat staunte. Und ermächtigte Reiter, die Auslagerung der Produktionstechnik in drei Landesfunkhäusern und der Leipziger MDR-Zentrale zu prüfen.
Der Anfang September gefällte Beschluß macht Hanjo Lucassen, Rundfunkratsmitglied und Sachsens DGB-Chef, heute noch zornig: Das Aufsichtsgremium habe aus „Harmoniebedürftigkeit“ zugestimmt. Zu allem Überfluß sei während der Abstimmung einer der Privatisierungsgegner „pinkeln“ gegangen. So sei eine Vorentscheidung gefallen, die den Sender radikal verändern könne. Bei anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geht nun die Angst um, daß die MDR-Strategie Schule macht. So verurteilten die Personalratschefs aller ARD-Sender und des ZDF am Freitag die Privatisierungspläne.
Ein Pilotprojekt läuft seit Januar in Erfurt, wo Kinderkanal und MDR-Landesfunkhaus Thüringen sitzen. Ob Studiotechnik, Kamera oder Schnitt – die gesamte Fernsehtechnik wurde an eine privatrechtliche Tochter von MDR und NDR ausgelagert. „Wir wollen die berühmte schlanke Anstalt und keinen Personalklops“, schwärmte Gerhard Schulz, der in Leipzig im MDR-Verwaltungsrat und in Bonn in der CDU-Fraktion sitzt. Reiters Pläne seien „genau das, was wir wollen“ – obwohl bisher niemand ausgerechnet hat, ob es sich lohnt. Denn der sonst steuerbefreite MDR muß für alle Leistungen der privatrechtlichen Tochter Steuern zahlen. Kritiker haben noch andere Sorgen: „Was passiert denn, wenn gestreikt wird?“ fragt die IG Medien. Dann könne der öffentlich-rechtliche Sender womöglich ohne Technik dasitzen und seinen Programmauftrag nicht mehr erfüllen.
Da „Outsourcing“ den Einfluß der Gewerkschaften zurückdrängt, kommt deren Geschrei nicht überraschend. Jedoch: Bedenken gibt es auch in Reiters engstem Beraterkreis. Die Juristische Direktion des MDR geht in einem internen Bericht mit dem Erfurter Modell mitunter hart ins Gericht. „Nach dem bekannten Sprichwort ,Hinterher ist man klüger‘“, so heißt es einleitend, sollten „Fragen“ thematisiert werden, die beim ersten Outsourcing-Vorhaben entstanden seien. In Erfurt sei koordinierendes Personal, die Schnittstelle zwischen MDR und der Dienstleistungtochter, „outgesourct“ worden. Die Schnittstellen hätten aber eine Führungs- und Steuerungsfunktion, und die müsse wiederum durch den MDR gewährleistet sein. Sonst sei die Privatisierung unzulässig. Probleme sehen die MDR-Juristen auch im Vergaberecht. Der öffentlich-rechtliche MDR dürfe nicht „vergabeneutral“ Aufträge an seine Tochterunternehmen vergeben, sondern müsse die öffentlichen Vergabebestimmungen berücksichtigen. Zudem wird eine „Nutzen-Kosten-Untersuchung“ der Privatisierung gefordert, da der MDR sonst gegen Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoße.
Zu dem Papier wollte sich MDR-Sprecher Stephan Link auf Anfrage der taz nicht äußern, weil „Sie es normalerweise gar nicht haben dürften“. Konkret nach den Kritikpunkten gefragt, rudert MDR-Justitiarin Karola Wille zurück. Sie habe „keinerlei Bedenken“ gegen das Erfurter Projekt. Der MDR sei kein öffentlicher Auftraggeber, widerspricht sie dem Gutachten ihrer eigenen Direktion. Hingegen stimme es, daß der MDR eine Kosten-Nutzen- Analyse den „zuständigen Stellen des Hauses“ vorlegen müsse. Eine solche Stelle ist der MDR- Rundfunkrat offenbar nicht. DGB-Chef Lucassen berichtet, er habe Wille in besagter Sitzung nach rechtlichen Bedenken gefragt. Doch der Intendant wollte selber antworten: Keine Probleme.
Warum Reiter die Privatisierung so eilig vorantreibt, fragen sich viele. Eine Rolle spielen könnte der Plan des Ministerpräsidenten Biedenkopf, einen Medienstandort in Ostdeutschland aufzubauen. Gebührenfinanzierte MDR-Tochterfirmen, die auch für private Fernsehstationen arbeiten, wären da hilfreich. Dazu paßt eine Mahnung in dem kritischen MDR- Papier: Bei der anstehenden Kosten-Nutzen-Analyse könne es „nicht um die Verfolgung wirtschaftspolitischer oder volkswirtschaftlicher Vorgaben politischer Entscheidungsträger“ gehen. Georg Löwisch
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