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Nachrichten aus der Filmwüste

■ Heute beginnen im Kino 46 die 2. Türkei-Filmtage / Sechs Filme contra Hollywood

Crichton-Verfilmungen? Oaa. Grisham-Verfilmung? Oaaaa. Hera Lind-Verfilmungen? Genug davon. Wie wäre es mal mit der Bebilderung des „großen“persischen Sufidichters des Mittelalters, Fariduddin Attar? Geht natürlich kein Hollywood-Filmstudio an, sehr wohl aber der Türke Ömer Kavur – und erntete mit seinem Film „Gizli yüz“immerhin den notorischen Insider-Preis der Internationalen Kritik der Filmfestspiele Venedig 1991.

Das Wort „multikulturell“ist in 3,6 Sekunden ausgesprochen, mit ein paar Wochen Streitarbeit kann es schon mal in ein Parteiprogramm hineingehievt werden, doch seine Realisierung ist schwierig und langwierig. Der Ausländer als Abstraktum ist unser Freund, sein unverstehbares Quasseln in der Straßenbahn aber für viele immer noch eine Belästigung, noch dazu, wenn es vergnüglich wirkt. Auf einer sehr elementaren Ebene setzt die Verunsicherung ein. Welches Medium wäre geeigneter sie aufzulösen als der Film. Er wühlt sich unmittelbar in jede Körperlichkeit hinein: die Ober- und Untertöne beim Sprechen, die Falten der Mundwinkel, die Bewegungen der Finger, der ganze Bodensatz der kulturellen Kodierungen.

Die „Türkei-Filmtage“des Kino 46 bieten also für alle Deutschen die Chance der nahen Begegnung auf Distanz. Und der Bildung. Wer weiß schon, daß das Istanbul des 17. Jahrhunderts von einem bisexuellen Sultan regiert wurde? Daß sich dieser Murad IV. in einen blutrünstigen Moralwächter verwandelte? Daß sich der Totalernüchterte dennoch auf einen systemsprengenden Flirt mit der Wissenschaft einließ? Geschichtchen aus der Geschichte, die in der Türkei jedes Schulkind kennt. Mustafa Altioklars „Istanbul unter meinen Flügeln“füllt solche Wissenslücken mit bunten Kostümbildern. Jenseits seiner karamelsüßen Ästhetik setzt sich der Film mit derselben Heftigkeit für die Freiheit des wissenschaftlichen Spekulierens ein wie Brecht in seinem Galileo Galilei: So furchtbar weit liegen die Probleme von Westeuropa und der Türkei nicht auseinander; ein paar Jahrzehnte eben. In der zuckrigen Optik des Films wird sein Feind sichtbar: Hollywood.

In den 60er und 70er Jahren spuckte die türkische Filmwirtschaft bis zu 300 Filme pro Jahr aus; angeblich auch mit Nähe zu den westeuropäischen Avantgardebewegungen wie der Nouvelle vague. Und was in der Türkei Kinogehen sich nannte, war etwas ganz anderes als hierzulande. Aber auch die Türken verfielen dem amerikanischen Kino. Nur noch circa vier Filme pro Jahr werden in der heutigen Türkei produziert. Aufgrund dieser Notlage haben sich sieben türkische Produzenten zusammengeschlossen, um mit vereinten finanziellen Kräften wenigstens zwei Filme stemmen zu können. Ein Ergebnis: „Böcek“von Ümit Elci, eine Studie über die Geburt der Gewalt aus dem Berufsfrust.

Dieser Film oder auch Kadir Sözens „Winterblume“, über das Elend der Abschiebung ist natürlich auch und besonders für Türken in Deutschland interessant. Bei den ersten Türkei-Filmtagen vor zwei Jahren kam es denn auch in der Kinokneipe zu vielen Gesprächen zwischen Deutschen und Türken zum Aufhellen von Dunkelstellen in den Filmen: Ist es wirklich so bei euch? Oder ganz anders?

Nur logisch, daß diese Kinowoche nicht in gönnerhaftem Alleingang konzipiert wurde, sondern in Zusammenarbeit mit Medya Göckusagi (Media Regenbogen), die jeden zweiten Donnerstag in jedem zweiten Monat auf Frequenz 92,5 in Bremen konsequent antinationalistisch Radio senden.

Nur allzu gelegen kommt es, daß zur Zeit ein türkischer Film in Deutschland reüssiert, zwar eher bei der Presse als beim deutschen Publikum, aber immerhin. „Eskiya“, die Geschichte vom Stolz des alten Banditen flackert bei den Filmtagen im Dienste des Stolzes der Türken in Deutschland bk

Programm siehe KINOTAZ. Am 7. November um 19 Uhr spielt die „Fuat Saka & Band“im Kino

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