: Naive Sehnsucht oder Pragmatismus
Kann mit der Privatisierung öffentlicher Flächen der sozialen Polarisierung begegnet werden? Ja, meinen die Westler, nein, die Ostler. Ein Bericht über die politische Polarisierung ■ Von Uwe Rada
„Eine naive Sehnsucht nach der Anonymität des Wohlfahrtsstaats“ bescheinigte die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstätt der Architekturhistorikerin Simone Hain. Die wiederum verortete Eichstätts Vision einer mittelständischen Eigentümerschaft als „Rückschritt ins 19. Jahrhundert“. Unversöhnlich wie schon lange nicht mehr trafen am Dienstag abend im Stadtbad Oderberger Straße die Vorstellungen über die künftige Entwicklung Berlins aufeinander. Zur Diskussion über „Volkseigentum, privates Eigentum, kollektives Eigentum?“ hatte die Galerie O2 im Zusammenhang mit der Ausstellung „Fluten 2“ eingeladen.
Daß die „Eigentumsfrage“ die Gemüter derart zu erregen vermochte, lag allerdings weniger an naiven Vergesellschaftungsforderungen der Ostdiskutanten Simone Hain und des Architekten Peter Meyer. Anlaß für die zuweilen äußerst emotional geführte Diskussion waren einmal mehr das Planwerk Innenstadt und die darin erhobene Forderung, nicht nur breite Verkehrsschneisen wie die Leipziger Straße „rückzubauen“, sondern auch zahlreiche öffentliche Frei- und Grünflächen wie am Friedrichswerder oder dem Marx- Engels-Forum an private Eigentümer zu verkaufen. Nur privates Eigentum, verteidigte Franziska Eichstätt diese Privatisierung erstmals öffentlich, sei in der Lage, der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft und der Dichotomie zwischen Staat und Markt durch die Stärkung des Mittelstandes gegenzusteuern.
Für Simone Hain ist genau das die Absage an die sozialpolitische Komponente des modernen Städtebaus, dessen Ziel die Angleichung der Lebensverhältnisse aller gewesen sei. Mit der Reprivatisierung des landeseigenen Grund und Bodens, so Hain, werde die Spaltung der Gesellschaft nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sogar verschärft. Nicht die Besitzbürger drängten schließlich in die Stadt, sondern vorwiegend Migranten aus Osteuropa.
Daß die Diskussion zeitweilig den Charakter einer Talkshow bekam, lag nicht nur an der assoziativen Atmosphäre, die der Städtebaukritiker Hans G. Helms mit einigen Anekdoten über New York und den „Absent Landlord Act“, ein Gesetz zur Enteignung herrenloser Häuser, vorgegeben hatte. Auch das Fehlen von Diskussionsvorgaben führte dazu, daß die „Eigentumsfrage“ auf verschiedenen Ebenen geführt wurde. Während der Architekturkritiker und Masterplan-Liebhaber Gerwin Zohlen am liebsten über die Zukunft des Stadtbads Oderberger Straße diskutiert hätte, machte es Publikumsliebling Peter Meyer nicht unter dem Niedergang des Kapitalismus. „Wenn das so weitergeht“, erinnerte Meyer an das Ende der DDR, „dann geht hier bald das Licht aus.“ Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Macht der Banken stelle sich nicht nur die Eigentumsfrage neu, sondern auch die der Freiheit. Simone Hain ergänzte: „Ich will ein Leben in Würde und mich nicht ein Leben lang bemühen müssen, Reichtum anzuhäufen, damit ich nicht ausgegrenzt werde.“ Für Eichstätt ein weiterer Beleg für die ungebrochene Hoffnung auf den Wohlfahrtsstaat.
Die Zuspitzung der Diskussion auf die Stereotype Ost-Nostalgie versus West-Pragmatismus zurückzuführen wäre allerdings zu kurz gegriffen. Sosehr die „Erinnerung“ Hains und Meyers an andere Eigentumsformen und Lebensmodelle als die des Privateigentums und der „Risikogesellschaft“ in Zeiten der Haushaltskrise anachronistisch anmutet, sowenig vermag der Pragmatismus Eichstätts und Zohlens die gesellschaftliche Polarisierung in Berlin aufzuhalten.
„Uns wirft man immer vor, vierzig Jahre DDR hätten die Bausubstanz in Prenzlauer Berg zerstört“, führte ein Zuhörer die Diskussion wieder auf die lokale Ebene zurück. „Aber auch die Marktwirtschaft ist nicht in der Lage, ein Gebäude wie das Stadtbad zu sanieren.“
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