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Vorurteile über Vorurteile

■ Ist Harald Schmidt schuld am miesen Polenbild der Deutschen? Welche Rolle können Medien beim Dialog mit den Nachbarn spielen?

Als Anfang September Spenden für die Opfer der Flutkatastrophe im Oderbruch gesammelt wurden, kam es wieder mal zum Eklat: Man wolle „denen da drüben“ keine müde Mark zukommen lassen, beschwerten sich Zuschauer beim Ostdeutschen Rundfunk (ORB), nachdem über Hilfsprogramme im Hochwassergebiet berichtet worden war. Die Flut hatte den Haß gegen die Nachbarn an die Oberfläche geschwemmt. Der Kampf gegen das Wasser wurde schnell zum nationalen Schutzprojekt vor den vielfältigen Gefahren jenseits der Deiche.

„Man redet in Deutschland seit kurzem unfreundlich von den Polen, ja sogar feindlich und verächtlich als einer Nation notorischer Autodiebe, Nichtstuer, Faulpelze und Schmutzfinken, mit denen ordentliche Deutsche nichts zu tun haben wollen“, erklärte im selben Monat der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski der Wochenzeitung Freitag. Wojciech Pomianowski, Presseattaché der polnischen Botschaft, drückte sich auf einer Diskussionsveranstaltung der Evangelischen Journalistenschule in Berlin zum Thema „Fremde Nachbarn Polen – Der Beitrag der Massenmedien“ diplomatischer aus: „Es gibt Vorurteile, doch ich möchte mich nicht beschweren. Konflikte sind normal, man muß mit ihnen besonnen umgehen.“

Wenn man Pomianowski auf die Polenwitze des Talkmasters Harald Schmidt anspricht, erzählt Pomianowski sogar selbst einen solchen. Man müsse mit Schmidts Späßen nicht so bierernst umgehen, meinte der Botschaftssprecher – dies sei wirklich sehr teutonisch.

Der seltsame Humor des Entertainers bediene die Ressentiments jener Landsleute, die sich über die Überschwemmung vor allem deshalb freuten, weil „endlich einmal die Grenzen geschlossen“ seien, meint dagegen die Deutsch-Polnische Gesellschaft in Mainz. Sie protestierte gegen die Verleihung des „Medienpreises für Sprachkultur 1998“ der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ an Harald Schmidt: Daß die öffentliche Meinung über die Polen mittlerweile einen Tiefpunkt erreicht habe, sei nicht zuletzt „auch Schuld der Polenwitze eines Herrn Schmidt“, heißt es in ihrem Beschwerdebrief.

Wie sieht's aus mit dem Polenbild in den deutschen Medien? „Pauschalurteile sind Vorurteile“, sagt die ZDF-Journalistin Marion Mück-Raab. Doch sie gibt zu, daß sie darum kämpfen muß, „überhaupt ein Polenthema zu plazieren“: „Für manche Kollegen sind die Kanaren näher als Stettin.“ Wüste Reportagen über polnische Autodiebe in den einschlägigen Boulevardblättern oder schlecht recherchierte Stories über angebliche Prügelorgien an der deutsch- polnischen Grenze, wie sie zuweilen die grenznahe Märkische Oderzeitung in die Welt bringt, die es eigentlich besser wissen müßte, macht den Massen das fremde Nachbarland nicht gerade vertrauter. Aber wahrscheinlich lesen die wieder mal die falschen Gazetten... Carsten Otte

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