: Langusten im Wohnzimmer
Protokoll einer nicht ganz geglückten Ankunft in Havanna. Uniformierte mit Raubtierlächeln verdienen an Schwarztaxis, und ein Zimmer wird zum Restaurant. Zwischen den Ruinen flattern Dessous in Kubas Nationalfarben: Weiß, Rot, Blau ■ Von Uta-Maria Heim
Die Moskitos kommen. Es dunkelt. Die Dämmerung steigt aus dem Staub hinauf in den Himmel, blaue und rosa Fetzen verlieren sich. Nur das Meer will immer noch grün sein, es peitscht die Rhythmen zurück. Der Strand ist stoisch und versteht nix, es ist ihm egal, wie es windet, ob die Flut ihn mit totem Tier bedeckt. Auf ihm lassen die Touristen ihre aufgeschäumten Kondome zurück, ihre weggeblasenen Baseballmützen und niedergesoffenen Bierbüchsen, darüber kreisen die Geier.
Der Ghettoblaster kreischt von amor, von mucho corazón. Er steht auf der Theke, schräg hinter mir. Daneben rührt ein schwarzer Junge mit den Hüften. „Tst“, zischt er, „tst.“ Damit meint er mich. Ich bin die einzige Touristin am quiosco. Er will einen Dollar, ein cerveza, einen Zwanzig-Dollar-Fick. Mehrere. Er würde mich, wenn es sein muß, begleiten.
Gestern bin ich angekommen. Mit dem Flieger in Varadero. Der Flughafen ähnelt einer sächsischen Imbißbude, benommen von der plötzlichen Hitze stieg ich aus der Boeing, die Regenjacke unterm Arm. An mir vorbei drückten sich lärmende Sextouristen, die T-Shirts trugen mit dem Aufdruck: Schützenverein Schwäbische Alb. Sie führten eine Mulattin mit sich, die ein riesiges Plüschtier an sich preßte.
Es roch nach Feuchtigkeit und Salz. Als mir geholfen werden sollte, begann ich zu schwitzen. Die Gepäckträger in den beigen Uniformen züngelten. Endlich stand ich allein vor vier Taxen. Der taxista, der auf mich zukam, war sehr dunkel und trug ein sehr weißes, steifgebügeltes Hemd. Er führte mich zu einem ziemlich neuen Japaner, verstaute mein Gepäck und stieg ein. Unentwegt drehte er am Radioknopf, doch der Sender aus Miami blieb gestört. Man hatte mir gesagt, der Fahrer müsse das Taxameter ausschalten, aber er weigerte sich.
Wir fuhren 120 Kilometer den Strand entlang, bis zu den Playas del Este, östlich von Havanna. Dunkelblau trat uns das Meer entgegen, entzog sich. Die Palmen standen vereinzelt und windstill. Die Hügel durchzog ein unbändiges, jedoch zuvorkommendes Grün. Wir passierten Strandraffinerien, an deren Turmspitzen schwefelgelbe Flämmchen züngelten. Es roch nach Fäulnis. Der Himmel war bewölkt. Pumpenantriebe lugten aus dem Gestein wie riesenhafte, mechanische Meeresfrüchte.
Vorher in Matanzas das bombastische Mosaik von Che, dazu gehorsam auf die Häuser gepinselte Graffiti-Sprüche. Kinder in dunkelroten Schuluniformen. Nun diese leere Autobahn, an den Rändern die Schlünder verlassener Baderuinen. Wieder zeigte ich dem taxista die Adresse, kein Hotel, eine Privatunterkunft, wieder nickte er. Dann verstreute Häuser, ein Dorf, das Taxi zuckelte den Berg herunter, der Fahrer beugte sich zum Fenster hinaus und sprach mit rollenden Lauten eine Alte an, die ein graues Schwein mit sich führte. Wir fuhren mehrmals um einen Häuserblock. Zuletzt gerieten wir an ein Mädchen, das rief: „Ven!“ Hinter ihm her tuckerten wir zum Strand. Der Fahrer hielt an und zückte ein Formular.
Am Strand traf ich zufällig Max, einen ausgestiegenen Gewerkschafter, und Max lädt mich zum Essen ein. Er trägt einen khakibraunen, ungebügelten Anzug, der an eine Tropenuniform aus der Kolonialzeit erinnert. Mit weit ausholenden Schritten läuft er, die Fäuste in den Taschen, an den spärlichen Straßenlaternen vorbei durch die stockschwarze Nacht. Stromausfall.
„Die Kubaner“, sagt Max, „werden nie einen europäischen Standard erreichen.“
Am Wegesrand klaffen gullygroße Löcher. Der Asphalt wurde auf unbefestigte Betonplatten aufgetragen, die an den Kreuzungen eingesackt sind. Kann sein, daß Max sogleich in der Tiefe verschwindet.
„Die Kubaner“, sagt Max, „sind es nicht gewohnt zu arbeiten. Kuba ist von jeher nichts als ein Puff. Die Kubaner sind zur Prostitution geboren. Damit schmarotzen sie sich durch, unter jedem Regime.“
„Wie lange bist du jetzt hier?“
„Ein halbes Jahr. Aber ich war früher schon oft da. Seit sieben Jahren jede längere Ferien. Vorigen Sommer habe ich dann das Häuschen gekauft. Muß ich ganz ehrlich sagen, Kuba ist meine zweite Heimat.“
„Ich dachte, Ausländer dürfen in Kuba keine Immobilien besitzen.“
Max lacht. „Dürfen sie auch nicht. Offiziell gehört es einer Freundin. Kubanerin.“
„Einer Prostituierten, einer jinitera“, will ich fragen, als Max endlich in sein Loch fällt.
Wir passieren einen unbeleuchteten, matschigen Pfad. Er führt zum Seiteneingang einer der vielen paladares, der Privatrestaurants, mit denen Familien versuchen, zu Dollars zu kommen. Die Wände des winzigen Wohnzimmers sind mit glitzernden Plastikplanen verkleidet, auf den drei runden, aneinandergedrängten Tischen glänzen geblümte Wachstuchdecken. Ein kleines Mädchen wird mitsamt dem Fernseher hinausgeschickt.
Wir wählen den Tisch in der Mitte. Max reibt sich das Knie. Eine verschmitzt dreinblickende Mulattin bringt uns unaufgefordert zwei eisgekühlte Dosen Cerveza Hatuey. Sie legt Max die Hand auf die Schulter, zieht ihn hart zu sich heran. „Cómo estamos“, bellt sie mit der Routine einer Krankenschwester.
„Me duele todo“, behauptet Max und stöhnt vor Schmerz. Er entblößt sein geschwollenes Knie und erläutert in einem rotierenden Wortschwall den Unfallhergang. Die Mulattin lacht mit zurückgeworfenem Kopf und aufgesperrten Kiefer.
Max bestellt Languste und für sich ein Steak. „Muß ich ganz ehrlich sagen, so was kriegst du in Deutschland nirgends.“
Drei dicke Deutsche brechen herin, sie tragen Baseballmützen und Freizeitanzüge und schlagen sich polternd an den Nebentisch. Sie verlangen nach Bier und Krabben und einer Cola für das dünne Mädchen, das sich dem häßlichsten auf den Schoß setzt. Sie ist mindestens 16, aber sie macht auf jünger in ihrem kurzen, rosafarbenen Baumwollkleid. Wortlos schmiegt sie sich an den Urlauber, der mit breitem schwäbischen Akzent herumproletet. „Muß ich ganz ehrlich sagen“, „wiederholt Max, „für sechs Dollar, so was kriegst du in Deutschland nirgends.“
„Was verdient ein Durchschnittskubaner im Monat? Acht Dollar?“
Wieder geht die Tür auf. Ein Rentner mit einem langbeinigen, farbigen Kind. (Die Languste schmeckt ausgezeichnet.)
„Mach dir doch nichts vor“, sagt Max, an dessen Oberlippe ein Blutstropfen hängt. „Die Amerikaner brauchen doch gar nicht mehr einzumarschieren, die sind mit ihren Dollars doch längst drin. 200 Jahre Sklavenwirtschaft und bald 40 Jahre Sozialismus. Und jetzt kommen die Yankees zurück und machen hier klar Schiff.“
Ich dachte, da gibt es ein Handelsembargo. (Die Languste schmeckt ganz ausgezeichnet.)
„Wenn du was erleben willst“, sagt Max, „würde ich dir wirklich raten, angel dir einen jinitero. Ich besorg' dir einen. Weißt du überhaupt, was jinitero bedeutet?“ Max kichert. „Reiter.“
Zu Fuß begleitet mich Max nach Hause. Die Straßenlaternen spenden ein milchig-trübes Licht, bevor der Strom auf halber Strecke abermals ausfällt. An uns vorbei knattern tutende Taxen, aber ich genieße den kühlenden Wind, der das Rauschen der Brandung vom Meer zu uns herträgt.
Der Techno bellt vom quiosco herüber, „El Mariachi presenta Cuba the salsa mix, Ricky Martin presenta Maria, Garcia presanta Vamonos. Un, dos, tres, hey chico are you ready?“ Am Haus vorbei knattern Motorräder, die johlend durch die Pfützen schanzen. Samstag nacht, jubilierende Jugend, die einer vorindividuellen Ursprünglichkeit huldigt.
Plötzlich stand sie vor mir, als ich morgens auf der Terrasse meinen Espresso trank, sagte, Max habe sie geschickt, mit der Bitte, mir Havanna zu zeigen.
Schnell wird mir klar, daß Maria in Havanna etwas zu erledigen hat. Der Bus fährt nur alle zwei Stunden, und er ist meistens schon voll. Also passiert er mit Karacho und einem aufreizend heiseren Hupen die Haltestelle, wo eine stoische Schlange in der Sonne sengt. Der Bus kostet ein paar Pesos, die hat Maria. Das Taxi für fünf oder sieben Dollar, für Touristen bis zu 15, kann sich Maria nicht leisten.
In einem haifischförmigen De Soto Diplomat mit schmalschlitzigen Augen, messerscharfen, metallicgrünen Flossen und 40jährigen Stoßdämpfern bullern wir an Königspalmen und verrosteten Werbewänden vorbei nach Havanna. Rechts von uns wogt das Meer auf und ab, breitet die Arme aus, verschwindet. Die beiden Taxichauffeure unterhalten sich gedämpft ratternd, neben ihnen quetscht sich ein pubertäres Pärchen aneinander, dem eine Erziehungsperson die fälligen fünf Dollar durchs Fenster gereicht hat, auch hinten kauern wir zu viert im Durchzug: zwei schweigende schwule Sextouristen, denen der Sonnenbrand die feuerwanzenrote Haut abzieht, Maria und ich.
Sie keilt ihren spitzen Ellenbogen in meine Rippen, als der taxista rabiat abbremst. Mit einem obszönen Fluch karrt er den Straßenkreuzer rechts ran. Vor uns mit Raubtierlächeln zwei Uniformierte.
„Mensch“, sagt einer der schwulen Schweiger, „das is 'ne Schwarztaxe, und ob der Typ da überhaupt 'n Schein hat.“
„Also zusammenlegen“, kommentiert der zweite.
Die beiden kennen sich aus. Ich gebe zehn Dollar, der zweite tut zehn dazu und schiebt die einzeln zusammengerollten Scheine nebeneinander unter die Klarsichtfolie einer Marlboro-Schachtel. Ein Fenster zum Herunterkurbeln gibt es nicht, also streckt er den Arm aus der Luke und bietet den Polizisten eine Zigarette an. Sie greifen zu.
Auf dem Malecón, der reifentief unter Wasser steht, erwischt uns eine Gischtfahne. Fluchend biegt der taxista links ab, der De Soto röchelt schwindsüchtig. Das minderjährige Pärchen ist längst herausgekickt. In die schwulen Sextouristen, die seit der Warterei im Vorort hartnäckig geschwiegen haben, kommt Bewegung. „Wo wollt ihr raus? Zentralpark?“ Mir ist es egal. „Maria?“
Maria ist es auch egal, aber als das Schwarztaxi am Capitolio hält, kneift sie. Sie nennt dem Fahrer eine Adresse im Zentrum, der Motor bullert, der Auspuff knallt. Im Schrittempo geht es durch enge, lichtarme Gassen, in die der Wind hineinstöhnt und wo der Müll an den Ecken wuchert. Ab und zu fehlt ein halbes Haus. Das hat der Hurrikan umgepustet. Dann glänzt hinter öden Fassaden der Himmel, oder im Freien scheint ein Wohnzimmer auf.
Um uns herum wird gehupt und geflucht und gebimmelt, mit wiegenden Hüften flanieren singende Kinder zwischen Rädern, Rikschas und Rollern die Gosse entlang. Im zweiten Stock öffnet ein schmales, schwarzhaariges Mädchen, das Maria auf beide Wangen küßt. „Eine Freundin von Max“, stellt Maria mich vor, und nun werde ich auch auf beide Wangen geküßt.
Durch einen umzugskartongroßen Flur gelangen wir in eine hellblau-weiß gestrichene, fensterlose Küchennische. Auf einem Hocker hampelt ein Zweijähriger.
„Como te llamas?“ fragt das Mädchen.
„Max“, stößt der Kleine hervor. Nun will das Mädchen wissen, wie denn sein padre heiße. „Max ist sein Vater“, erklärt Maria leise, „aber er bekennt sich nicht zu dem Jungen.“
Das Mädchen setzt cafeé cubano auf. „Es la primera vezque vienes aqui?“ Freudig nimmt sie sich eine von meinen Filterzigaretten. „Te gusta?“
„Me gusta mucho“,sage ich.
Aus dem Wohnzimmer kommt ein etwa 14jähriger Junge. Durch die geöffnete Tür dringt eine rumpelnd rumorende, von rollenden Pausen durchzogene, schwer stockende Stimme. In der Schrankwand prunkt ein japanischer Schwarzweißfernseher, auf dem Bildschirm pumpt reglos eine Kröte wie ein bärtiger, alter Mann in Uniform.
Durch einen schmalen, wurmstichigen Holzladen treten wir hinaus auf den abgeblätterten, vom Klima figurierten, rötlich-braunen Balkon. Mit der böigen Hitze fliegt uns die flirrende Schönheit Havannas entgegen, koloniale Herrlichkeit, zusammengestürzt hinter Bretterwänden, in deren Schutz auf dem Schutt die ersten Slums lauern. Versteckt wird schon in den Buden gehaust, die sich die Schwarzen aus den Ruinen zusammenzimmern. Daneben ragen verwitterte Mauern auf, an deren Sockeln kauern spielende Kinder. Über ihnen zieht sich die staubige Pinselparole Socialosmo o muerte! entlang. Die sich zersetzenden Eingänge sind vernagelt oder stehen ungeschützt offen. Zwischen den Fenstern sind Wäschleinen gespannt, auf denen weiße, rote oder dunkelblaue Dessous hängen. Nationalflaggen Kubas.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen