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Symbolisch weibliche Krieger

Gemeinhin gelten Frauen als Opfer des Krieges – und das Militär als eine der letzten Bastionen institutionalisierter Männlichkeit. Das stimmt nur zum Teil. Selbst in Armeen, die Frauen vom Kriegsdienst ausschließen, werden Hierarchien über sexuelle Muster hergestellt: Wer als weiblich gilt, befindet sich am unteren Ende. Eine Bestandsaufnahme  ■ Von Karin Gabbert

Der Kanzlerwechsel schien so leicht und fröhlich. Der alte war erleichtert zu gehen, und der neue rührte ihn mit seinen Respektbekundungen gar zu Tränen. Das Bild vom demokratischen, zivilen Wechsel hielt aber nicht lange. Helmut Kohl ließ sich mit der höchsten militärischen Zeremonie, dem Großen Zapfenstreich, auf dem Domplatz von Speyer verabschieden. Gerhard Schröder und Joschka Fischer warben bei ihrem ersten Einsatz im Parlament erfolgreich für die Beteiligung von deutschem Militär an einer Nato-Mission im Kosovo. Schneller und eindeutiger konnten sie nicht beweisen, ihrer neuen Aufgabe gewachsen, eben „handlungsfähig“ zu sein. Militärischer Abschied und militärische Initiation. Die Kanzler – Ex- und in spe – exerzierten vor: Seht her, so ist der Zusammenhang zwischen Männlichkeit, Militär und Macht.

Gleichzeitig konnte man vor dem Fernseher aber auch entdecken, daß in Deutschland doch noch eine Gruppe mit einem gebrochenen Verhältnis zu solchen Ritualen existiert: die Bundeswehr! Es reizte zum Kichern, wie die Kommandos beim Großen Zapfenstreich das Flair einer Aerobicstunde erzeugten. „Gewehr über?“ „Fackelträger marsch?“ Das waren keine Befehle, sondern Angebote.

Diese Beobachtungen stachen vor allem den Teilnehmerinnen des Kongresses „Militär und Geschlechterverhältnis“ ins Auge, der am letzten Wochenende von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin veranstaltet wurde. Auch dort wurden Klischeebilder über Macht, Militär und Männlichkeit produktiv durcheinandergebracht.

So bezeichnete die Sozialwissenschaftlerin Christine Eifler aus Bremen das Militär als eine „symbolisch weibliche Situation“, in der die Soldaten ihre zivile Männlichkeit verlören. Sie müssen dienen, gehorchen, sich unterordnen, sich opfern. Soldaten machen Betten, nähen Knöpfe an und putzen. Um diesen Aufgaben zumindest teilweise zu entkommen, müssen sie die militärische Männlichkeit annehmen, sich durch Aggressivität und Härte hocharbeiten. Ein Beispiel: In der US-Marine haben Versorgungsoffiziere den niedrigsten Status. Die höhergestellten Offiziere nennen sie Versorgungskätzchen, Unterstützungswürstchen, kleine Pimmel. Damit bescheinigen sie ihnen mangelnde Virilität und sichern sich selbst männliche Macht. „Weibliche“ und „männliche“ Eigenschaften dienen also auch unter Männern dazu, Hierarchien herzustellen und abzusichern.

Was passiert nun, wenn Frauen in diese Männerinstitution eindringen? Eine weit produktivere Fragestellung als das übliche „Sollen Frauen ins Militär?“. Die Friedensforscherin Astrid Albrecht-Heide sagte, eine Beteiligung von Frauen am Militär würde den Gegensatz zwischen den Geschlechtern stärken und dramatisieren. Ein Indiz fand sie in den sorgfältig frisierten und geschminkten Frauen in den Eliteeinheiten der USA. Eine nicht ordnungsgemäß geschminkte Frau bekomme ein Disziplinarverfahren. Dadurch werde den Soldatinnen die weibliche Rolle regelrecht aufgezwungen und gleichzeitig die Männlichkeit der Soldaten bestätigt.

Christine Eifler vertrat die Auffassung, die Anwesenheit von Frauen würde Soldaten massiv kränken und verunsichern. Das sei auch ein Grund, warum die Streitkräfte neben der katholischen Kirche die letzte Institution seien, die Frauen ausschließt oder sie – wie in Rußland, Israel und Deutschland – nur unterstützende Aufgaben ausführen läßt. Daß Frauen im Militär im Kriegsfall auch kämpfen, sei real zwar gar nicht zu verhindern, sie bekämen aber trotzdem einen zivilen Status zugewiesen. Denn der Kämpfer müsse unbedingt als männliche Figur gerettet werden.

Die meisten Diskussionsteilnehmerinnen vermuteten, daß eine Integration von Frauen allein das Wesen des Militärs genausowenig ändern würde wie beispielsweise die über fünfzig Prozent Studentinnen die Hochschulen. „Ob eine Frau oder ein Mann die Truppen befehligt, macht keinen Unterschied“, meinte eine Kongreßteilnehmerin. Entscheidender sei, daß Schwäche, Zweifel und Mitleid als weiblich gälten. Und weibliche Eigenschaften, egal ob bei Mann oder Frau, bedeuten immer einen untergeordneten Platz in der Hierarchie. Ob im Militär oder sonstwo.

Der Berliner Kongreß umschiffte die Klippen, an denen die feministische Debatte in Deutschland über dieses Thema so oft hängenbleibt – etwa die Thesen, daß Frauen von Natur aus für den Frieden sein sollen oder daß die Integration von Frauen ins Militär per se ein emanzipatorischer Schritt wäre. Der dahintersteckende Gegensatz zwischen Frieden und Gerechtigkeit wurde hier nicht moralisch gegeneinander ausgespielt. Dadurch kam die Diskussion erst in Gang.

Weitergetrieben wurde sie wohl auch, weil das Thema naturgemäß auch existentielle Fragen, wie Sterben und Töten, berührt. Es sei individuell leicht zu erklären, wenn Frauen und Männer im Militär verdrängen, daß dies im Kern ihre Aufgabe ist, meinte Albrecht-Heide. „Wir denken ja auch nicht ständig daran, daß wir mit einem Auto sterben und töten können.“ Über tief in die Menschheitsgeschichte zurückreichende Gefühle des Krieges redete vor allem die US-amerikanische Publizistin Barbara Ehrenreich. Diese Gefühle knüpfen an das Urtrauma der Menschen an, nicht Jäger, sondern Gejagte zu sein. Krieg wiederholt dieses Urtrauma und gewinnt daraus seine Macht: Die ältesten Mythen der Menschheitsgeschichte erzählen von kriegerischen Heldentaten und von Menschenopfern, mit denen das Raubtier besänftigt werden soll.

Sich für etwas Höheres opfern – für Solidarität und Gemeinschaft –, das seien Gefühle, mit denen Menschen für den Krieg begeistert werden könnten. Gerade weil es dafür in unseren Konkurrenzgesellschaften kaum noch Raum gäbe. Daß Frauen nicht immun sind gegen die Erregung des Krieges, stand allerdings auf diesem Kongreß nicht zur Debatte.

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