:
Der Tod des Präsidentensohnes John F. Kennedy hat weltweit die Gemüter bewegt. Selbst politische Zeitungen berichteten über den Flugzeugabsturz vor der Ostküste der USA umfangreich, obwohl es keine Anzeichen für ein politisches Komplott gibt. Es handelt sich offenkundig, wie beim Tod Lady Dianas, Gracia Patricias und Marilyn Monroes, um die Wiederbelebung eines so kollektiven wie globalen Mythos. Ein Essay von Bettina Gaus
ohn F. Kennedy jr.? Uninteressant. Nichts gibt es, was ich über diesen Mann erfahren möchte. Sein Flugzeug wird vermißt. Oh. Was? Nicht doch. Im Kopf ein längst vergessen geglaubtes Bild: der dreijährige Junge, am Sarg seines toten Vaters salutierend. Die Erinnerung kehrt zurück an ein Gefühl, an eine schreckliche Erkenntnis: Auch Eltern können sterben.
Sechs Jahre alt war ich, als der US-Präsident erschossen wurde – ebenso alt wie seine Tochter Caroline. Die früheste politische Erinnerung bleibt für immer verknüpft mit kindlicher Urangst und tiefem Mitleid für das unbekannte Mädchen. Und jetzt wird das Flugzeug ihres Bruders vermißt? CNN einschalten, sofort. Die werden Einzelheiten wissen.
Wie haben Sie von der Ermordung Kennedys erfahren? Vom Einmarsch der Russen in Prag? Vom Fall der Mauer? Von Lady Dianas Tod? Kaum ein Zeitzeuge, und sei er auch politisch völlig desinteressiert, der auf diese Fragen nicht spontan Auskunft zu geben vermöchte. Kaum jemand, der es nicht gerne täte.
Zwischen jedem noch so fernen, noch so überwältigenden Ereignis der Geschichte und der eigenen, privaten Biographie läßt sich eine gerade Linie ziehen. Das macht die Welt heimisch und überschaubar. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Geschehnis tatsächlich objektiv bedeutend war oder ob ein Mensch die Zeitläufte wirklich beeinflußt hat. Was zählt, ist die beruhigende Gewißheit, Teil einer globalen Gemeinschaft zu sein.
Alle Somalis erinnern sich, wo sie gewesen sind, als in Mogadischu die Kämpfe gegen den Diktator Siad Barre ausbrachen. Einstige Bonner werden sich in einigen Jahren in Berlin daran erkennen, daß sie verständnisinnig über die Stimmung dieser merkwürdigen letzten Wochen am ehemaligen Regierungssitz miteinander reden können. Vietnamkriegsveteranen, Achtundsechziger, Teilnehmer des Rußlandfeldzuges, DDR-Dissidenten: Stallgeruch. Eingeweihte unter sich, Fremden Zutritt versagt. Nur wenige Ereignisse und noch weniger Menschen haben der ganzen Welt Zutritt verschafft.
Die Beerdigung von Lady Diana ist vom kenianischen Fernsehen übertragen worden, chinesische Tageszeitungen vermelden den Absturz des Kennedy-Flugzeuges. Es gibt eine globale Übereinstimmung hinsichtlich des Nachrichtenwertes dieser Ereignisse. Über alle kulturellen und sozialen Unterschiede hinweg.
Mit gemeinsamen Werten hat das nichts zu tun. Wohl aber mit einer universalen Akzeptanz des weltweiten Koordinatensystems. Entziehen kann sich dem niemand, auch diejenigen nicht, die bestimmte Personen und Ereignisse für maßlos überschätzt halten. Er fände es grotesk, welch breiten Raum politische Zeitungen dem Tod von John F. Kennedy jr. eingeräumt hätten, sagt ein Kollege.
nd gibt dann zu, daß er die Berichte gelesen hat. Niemand konnte präziser und ausführlicher begründen, weshalb Lady Diana zu Unrecht so gewürdigt worden sei, als die Gegner des Kults um ihre Person. Um den Wunsch nach Abgrenzung überhaupt erst entstehen zu lassen, ist die Zugehörigkeit zum kollektiven Bewußtsein eine notwendige Voraussetzung. Nicht nur CNN informiert ausführlich über den Unfall von John F. Kennedy.
Auch ZDF und ARD bringen Sondersendungen über den Mann, der bis vor wenigen Tagen eine weltweit unbekannte Größe gewesen ist. Die spärlichen Fakten, die es über sein Leben zu vermelden gibt, sind nicht dazu angetan, ihm ein markanteres Profil zu verleihen. Dennoch versammeln sich internationale Reporter zu Hunderten vor dem Anwesen der Kennedys in Hyannisport. Sie sprechen von einer weiteren Tragödie für die Familie.
Die ganze Welt will wissen, wie die Leidgeprüften mit diesem neuerlichen Schicksalsschlag fertig werden. Viel Kraft habe die Familie stets in ihrem Zusammenhalt und in ihrem starken Glauben gefunden, so war zu erfahren, und auch, daß Ethel Kennedy zu einer kurzen Segelfahrt aufgebrochen sei. Schon oft habe sie in schweren Zeiten Ruhe und Trost auf dem Wasser gesucht.
Ethel Kennedy war die Tante des tödlich verunglückten Hobbypiloten, mithin eine seiner engsten überlebenden Angehörigen. Seine Ehefrau starb mit ihm, die Eltern sind tot, Kinder hatte er nicht. John F. Kennedys Schwester Caroline war nicht nach Hyannisport gekommen, sie mied die Medien. Die meisten Hinterbliebenen waren Cousins und Cousinen, Nichten und Neffen des Toten. „Geistliche standen ihnen bei“, hieß es in Agenturmeldungen. Ein ungewöhnlicher Trost beim Ableben von Verwandten zweiten Grades. Wie eng Familienbande auch sein mögen – als Tragödie gilt der Tod eines Vetters gemeinhin nicht. Aber eine erschütterte Öffentlichkeit fordert persönlich Betroffene.
Ein kollektiver Schock braucht ein Gesicht. Die Kennedys taten, wie ihnen geheißen. „Unsägliche Trauer“ bekundete Edward Kennedy im Namen der Familie und nannte seinen Neffen ein „leuchtendes Licht in unser aller Leben, im Leben der Nation und der Welt“.
Die britische Königsfamilie war vor zwei Jahren erheblich begriffsstutziger gewesen. Allzu spät hatten Prinz Charles und Königin Elizabeth jene tiefe Trauer über den Tod von Lady Di bekundet, die ihnen das Volk abverlangte: Dieselbe Öffentlichkeit, die es normal findet, wenn andere Leute an ihren geschiedenen Ehepartnern kein gutes Haar lassen.
Die Regeln der Allgemeinheit gelten für diejenigen nicht, die in den Olymp erhoben worden sind. Das ist ihr Privileg und der Preis, den sie für ihre Stellung zu entrichten haben. Wer gegen die Normen verstößt, dem droht lebenslanger Liebesentzug. Jacqueline Kennedy, die Mutter von John F. Kennedy jr., war die perfekte Ehefrau, und sie schien die vollkommene Witwe zu sein. Sie heiratete erneut: einen reichen Mann, einen alten Mann, einen Ausländer wie den Reeder Aristoteles Onasssis. Aus. Vorbei. Ein niemals verziehener Verrat. Jackies frühen Tod vor einigen Jahren nahm die Öffentlichkeit zur Kenntnis. Nicht mehr.
Ihr Sohn ist zu Lebzeiten hinter den Erwartungen zurckgeblieben, die sich mit seinem Namen verbinden. Auch im Tod wuchs er über seine Rolle als möglicher Thronerbe nicht hinaus. Nur am Rande beschäftigten sich die Reportagen der letzten Tage mit seiner Person. Seltsam widersprüchlich blieb sein Bild, geeignet nur als Folie, die noch ein letztes Mal den übermächtigen Vater spiegelte.
Dieser gehört zu den ganz wenigen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem globalen Mythos geworden sind. Wer noch? In Gesprächen über das Thema fallen stets dieselben Namen. James Dean. Marilyn Monroe. Elvis Presley. Grace Kelly, die spätere Gracia Patricia von Monaco. Lady Diana.
Stars. Keine Helden, keine Forscher, keine Feldherren. Der einzige Politiker ein Mann wie John F. Kennedy, dessen mythisches Bild weitgehend ungetrübt von den realen Fakten ist, die inzwischen über ihn bekannt geworden sind. Bis auf die Märchenprinzessin aus England stammten sie alle aus den USA. Die Welt im ausgehenden 20. Jahrhundert: das ist Nordamerika und der Wunsch nach Glamour. Reale Machtverhältnisse offenbaren sich ebenso wie die irrealen Sehnsüchte eines Zeitalters in seinen Mythen.
s hat bessere Schauspieler gegeben als James Dean, bedeutendere US-Präsidenten als John F. Kennedy, einflußreichere Frauen als Gracia Patricia. Wenn schon. Zum Mythos werden diejenigen, auf die sich die Träume und Hoffnungen der Welt projizieren lassen. Diese flüchtigen Gefühle dürfen ihrer Natur nach keine Grenzen kennen und an kein Ende kommen: Um sie zum Mythos werden zu lassen, mußte deshalb sie alle ein früher und vor allem geheimnisumwitterter Tod ereilen.
Aber Träume und Hoffnungen der Gesellschaft verändern sich und damit auch der Charakter ihrer Mythen. Die Einsamkeit einer Marilyn Monroe und die Außenseiterrolle eines James Dean gehören der Vergangenheit an. Die Singlegesellschaft schreit nach der Großfamilie. Für die Unsterblichkeit von Gracia Patricia bedurfte es der Eskapaden ihrer jungen, schönen Töchter. Lady Diana spielte die Hauptrolle in einer Seifenoper, die ohne die übrigen Windsors als Nebendarsteller nicht hätte aufgeführt werden können.
Die Geschichte von den Mythen der letzten Jahrzehnte ist stets die Geschichte von den Grenzen einer Rebellion. Gelingt der Ausbruchsversuch, dann ist diese Grenze überschritten und der Mythos tot. John Lennon, auf offener Straße am New Yorker Central Park erschossen, brachte gute Voraussetzungen mit, um ein Mythos zu werden. Aber es war ihm allzu ernst gewesen mit der Revolution, mit der Kritik an den bestehenden Zuständen. An einem Mythos dürfen sich die Geister nicht scheiden. Er bedarf ungeteilter Zustimmung.
Mit einem Revolutionär können sich nur diejenigen identifizieren, die seine Ziele für richtig halten. Den Traum vom Aufbruch zu neuen Ufern aber können alle teilen – so lange es ein Traum bleibt. Es gilt, auf Tabus zu deuten, ohne sie zu brechen. Einer Lady Diana, die erneut geheiratet hätte, wäre wohl dasselbe Schicksal widerfahren wie Jacqueline Kennedy-Onassis.
Nationale Mythen hat es zu allen Zeiten gegeben, und es gibt sie noch. Aber erst die Einführung moderner Massenkommunikationsmittel und ihre weltweite Verbreitung hat die Entstehung universeller Mythen möglich gemacht. Wem würde man sich im Jenseits näher fühlen: den Landsleuten einer anderen Zeit oder den eigenen Zeitgenossen, die auf einem anderen Kontinent gelebt haben? Die Antwort auf diese Frage dürfte heute anders ausfallen als vor hundert Jahren.
Bettina Gaus, 42, demnächst Neuberlinerin, war sechs Jahre lang Afrikakorrespondentin der taz, danach für diese Zeitung Leiterin des Parlamentsbüros in Bonn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen