■ Mit der Atomausstiegsdebatte auf du und du
: Druck aus den Ländern

Hannover (taz) – Die öffentliche Verwirrung um die Ausstiegspolitik der rot-grünen Bundesregierung könnte kaum größer sein. Da steht an einem Tag das Regierungsbündnis angeblich kurz vor dem Bruch, und kurze Zeit später haben dann der Bundeskanzler und der Vorsitzende der Grünen-Bundestagfraktion bei einem Essen in einem Nobelrestaurant scheinbar alle Differenzen beigelegt.

In Wahrheit stimmt das eine so wenig wie das andere. In der Koalition gibt es zwar in der Tat eine harten Konflikt über das Konsenspapier, das Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) mit den Energieversorgungsunternehmen ausgehandelt hat. Aber die Austragung dieses Konfliktes haben beide Partner einvernehmlich auf Ende September vertagt, nachdem der Parteirat der Grünen den Vorschlag Müllers abgelehnt hatte. Unter Federführung des Bundesumweltministers soll bis dahin eine interministerielle Arbeitsgruppe mit den Staatssekretären aus dem Wirtschafts-, Innen- und Justizministerium ausloten, ob und wie ein Ausstieg aus der Atomkraft auf gesetzlichem Wege gegen den Willen der AKW-Betreiber möglich ist

Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers wird von allen Umweltverbänden und den Bürgerinitiativen abgelehnt – vor allem, weil er die Betriebsdauer der AKWs auf 35 Jahre festschreibt und die Entsorgungsfrage nicht geklärt ist, aber auch, weil die Idee eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen Bundesregierung und AKW-Betreibern noch juristische Fallstricke enthalten könnte.

Auch die AtomexpertInnen der Grünen sind gegen Müllers Konzept. Aber Äußerungen des umweltpolitischen Sprechers der Bundestagsfraktion, Reinhard Loske, oder des Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch haben in den vergangenen Tagen gezeigt, daß die Partei nicht ganz einig ist.

Der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister wollten zuletzt den Konsensvertrag durch eine vorgezogene Stillegung des einen oder anderen Reaktors noch nachbessern Und ein Teil der Spitzengrünen liebäugelt offenbar mit einer solchen Einigung mit der SPD. Druck für einen vorzeigbaren Ausstieg machen dagegen die Grünen-PolitikerInnen aus den Ländern, die ja auch vor dem Jahr 2002 noch so manche Wahl zu gewinnen haben. Die Drohkulisse eines Atomsonderparteitages, der auch über die Koalition im Bund entscheiden würde, ist dabei längst aufgebaut. Aber bis es so weit kommen kann, hat die Bundesregierung noch genug Gelegenheit, beim Atomausstieg den WählerInnen von SPD und Grünen die versprochene Leistung zu zeigen. Jürgen Voges