piwik no script img

Kurz vor der Auferstehung

Die DDR ist längst beerdigt – letzter Dresdner SED-Bürgermeister ist erneut für das Amt im Gespräch

von NICOLE MASCHLER

Herbst 1989. Dresden ist einer der Kristallisationspunkte der Perestroika in der DDR. Eine Hauptfigur: Wolfgang Berghofer, von 1986 bis 1990 Oberbürgermeister der sächsischen Stadt. Nun, zehn Jahre später, könnte er erneut ins Rathaus einziehen: Nachdem sich der designierte SPD-Kandidat nur sechs Monate vor den Dresdener Oberbürgermeisterwahlen zurückgezogen hat, ist Berghofer für den Posten im Gespräch. Die sächsische SPD-Chefin Constanze Krehl hält einen „parteiübergreifenden Kandidaten Berghofer durchaus für vorstellbar“. Nach Umfragen liegt der derzeitige Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU) ohne gemeinsamen Oppositionskandidaten von SPD, PDS und Grünen in der Wählergunst vorne.

Die Personalie ist nicht ohne Brisanz. Einst erhielt Berghofer den Beinamen „Bergatschow“, weil er sich zu einem Treffen mit der oppositionellen Dresdner „Gruppe der 20“ bereit erklärte. In Leipzig standen dagegen während der Montagsdemonstrationen Scharfschützen auf den Dächern. „Bergatschow“ – das klingt wie Gorbatschow. Und tatsächlich trat mit dem Gespräch zwischen Staatsmacht und Demonstranten in der DDR erstmals Dialog an die Stelle von Repression. Doch wie den sowjetischen Staats- und Parteichef überrollte auch den Dresdener Hoffnungsträger die Geschichte. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – das galt auch für Berghofer. 1989 zum stellvertretender Vorsitzender der SED/PDS gewählt, fand er sich zwei Jahre später als Wahlfälscher auf der Anklagebank wieder.

Wie in anderen Städten auch war der Erfolg der Nationalen Front in Dresden manipuliert. Hätten sie sich verweigert, wären im Frühjahr 1989 alle Reformer abgesetzt worden, rechtfertigte sich Berghofer. „Da haben wir uns dann entschlossen, die kleinere Kröte zu schlucken und uns den Rücken freizuhalten, um an Reformen mitwirken zu können.“

Nach der Wende wurde Berghofer verurteilt – ein Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung. „Im Grunde genommen waren wir feige“, räumte Berghofer später ein. Er zog sich aus der Politik zurück und arbeitet seit 1990 als Unternehmensberater in Berlin.

Darf so einer noch ein wichtiges Amt übernehmen? Berghofer selbst schwankt, gerne würde er etwas wieder gutmachen. Er, der Wahlfälscher. „So steht es in jeder Notiz, das tut weh, das brennt mir auf der Haut wie Nesseln“, sagte er. Die Aufgabe würde ihn reizen. Wenn ihn eine überparteiliche Bürgerinitiative riefe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen