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Siegeln mit Ralph Siegel

Thommy Gottschalk, der älteste Teenager der Welt, will beim Grand Prix Eurovison für Deutschland singen. Macht nichts: Um Musik oder gar Qualität geht es eigentlich schon lange nicht mehr

von JAN FEDDERSEN

Hat Thomas Gottschalk geschummelt? Hat er sich vergangenen Sonnabend beim „Wetten, dass . . .?“ womöglich kleinerer Tricks bedient, um die Saalwette zu verlieren? Hat er sich seine Teilnahme an der deutschen Vorauswahl zum Grand Prix Eurovision am 2. März in Hannover also erschlichen?

Fragen über Fragen: Kann Zlatko überhaupt singen? Was soll Rudolf Mooshammer dort, womöglich mit Hundedame Daisy auf dem Arm? Ist Joy Fleming nicht zu alt, um mitzumachen? Hat Michelle überhaupt eine Chance gegen diesen Reigen von Quoten- und Trashfiguren? Wird Ralph Siegel wieder meckern, weil seine Kompositionskünste, diesmal im Dienste zweier Lieder, irgendwo zwischen Klamauk und Kommerz untergehen? Und was soll erst Wolf Maahn dazu sagen, der Altrocker, der auf seine alten Tage von seiner neuen Plattenfirma ins Rennen geschickt wird, um den Beweis anzutreten, dass er mehr als eine fahle Erinnerung an die frühen Achtzigerjahre hat – dieser Mann, der doch vor knapp zwei Jahrzehnten noch maulig alles in Grund und Boden meckerte, was sich im Sinne des Pop-Papstes allzu mainstreamig anhörte?

In Wirklichkeit beschweren sich nur die Gema und ihre Vertragsmitglieder, die Tonsetzer und Texter, die die deutsche Schlagerkultur untergehen sehen, weil sie mal wieder nicht zum Zuge gekommen sind. Denn der NDR, Ausrichter dieser Veranstaltung, hat vor vier Jahren beschlossen, die größten Musikkonzerne selbst bestimmen zu lassen, welche Künstler sie in diese quotenmächtigste Unterhaltungssendung der ARD schicken wollen. Das, so versichert Jürgen Meier-Beer, Unterhaltungschef des NDR, sei die einzige Methode, die für die Plattenfirmen interessant sei, damit dieses Ereignis auch für sie wieder Relevanz gewinnt. Die Qualität der Songs und Acts, so heißt es aus Hamburg, sei völlig egal, Hauptsache, die Sendung ist schon mehrere Wochen vor ihrer Ausstrahlung im Gespräch. Das steigert die Aufmerksamkeit, und die wiederum sorgt für Quote: Nur dies gilt bei Fernsehmachern als Gesetz, Fragen nach ästhetischer Güte gelten als amateurhaft-unverständig.

Dieses Kalkül funktioniert. Das war schon vor zwei Jahren so (Guildo Horn), das funktionierte auch voriges Jahr (Stefan Raab). Und die Verlierer lernten, dass sie nicht verlieren, wenn sie verlieren: Ein Guildo Horn zog so viele Zuschauer an, dass auch die damaligen Zweitplatzierten, das Berliner Duo „Rosenstolz“, von der Sendung profitieren konnten.

Dass dieses Spiel nicht ohne Bild gespielt werden kann, versteht sich von selbst. „Darf so einer für Deutschland singen?“, fragte das Blatt, als Guildo Horn noch nicht gewonnen hatte. Der Diskurs mit der Leserschaft war eröffnet – und machte den Trierer Sänger über Wochen zum Liebsten der Deutschen. Gottschalks verlorene Saalwette, die von Bild publizistisch vier Tage lang promotet wurden, kam dem NDR insofern sehr gelegen: Den Quotenkönig des ZDF bei der ARD auf der Bühne zu wissen ist für die Grand-Prix-Macher wie ein Treffer in die Zwölf. Erst Zlatko, dann Mooshammer, Joy Fleming – und jetzt Gottschalk, der gerade bei Jüngeren, Haribo macht’s möglich, ziemlich guten Straßenkredit hat.

Die genauere Klärung der Umstände während der Saalwette – sind Menschen, die zur Erfüllung dieser Wette beitragen konnten, nicht in den Saal gelassen worden? – wird dauern. Bis dahin wird die deutsche Grand-Prix-Show längst gelaufen sein. Die feinsinnigere Fragen danach, ob Gottschalk gemogelt hat, ob es nicht womöglich bessere Stimmen als die seine gegeben hätte, können dann TV- und Musikspezialisten beantworten, mehr Menschen wird es nicht interessieren. So fies und kaltschnäuzig können Fernsehen und Bild sein.

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