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Das Pfeifen des Himmels

Dialektisches Wechselspiel zwischen Innen und Außen, von Amt und Öffentlichkeit: Das von Axel Schultes entworfene Bundeskanzleramt am Spreebogen wirkt offen und transparent, bricht mit jeglicher stilistischer Programmatik, und ist frei von übertriebener Größe und den Pathosformeln der Macht

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es gehört zu den Besonderheiten der Berliner Baukultur, umstrittene Architekturen bereits vor ihrer Fertigstellung zu exekutieren. Wie ein Stigma hängt das Urteil über dem Bau und vernarbt niemals. Und sein Architekt wird den Ruf nicht los, als Vollstrecker ungeliebter Bauten diesen noch begründet zu haben.

Das neue Bundeskanzleramt im Spreebogen, das jetzt fertig gestellt ist und in zwei Monaten von Gerhard Schröder samt 450 Mitarbeitern bezogen werden kann, führt den verhängnisvollen Kampf, als „zweite Reichskanzlei“ in die Geschichte einzugehen, und sein Architekt, Axel Schultes, spielt dabei noch die Rolle des Stichwortgebers.

Den Vorwurf der Monumentalität beim Kanzleramt kontert der Architekt mit dem Hinweis auf die Bedeutung des Hauses im Parlamentsviertel. „Machtzentralen“ verlangten nun einmal nach großen baulichen Chiffren und „generösen Gesten“. Mit einem Haus in der typischen Berliner Machart sei das nicht zu bewerkstelligen, Staatsarchitektur symbolisiere nun mal was anderes als Kreuzberger Sozialpaläste – eine Provokation für alle, die sich die „Bonner Zivilität und Bescheidenheit“ an die Spree wünschen.

So in die Defensive geraten, hatte Schultes am Dienstag zu einer Führung durch das neue Haus geladen, um seinem Ärger Luft zu machen – und sich vor lauter Rechtfertigungsdruck noch tiefer in die Malaise verstrickt. Ein Desaster: Da stand der Architekt in der Skylobby des 7. Kanzlerstockwerks wie ein Rufer in der Wüste mit wehendem Mantel, atemloser Stimme und mürrischem Gesicht vor über hundert Kritikern der Branche und „musste wieder einmal was loswerden“.

Von „Fehlinterpretationen des Amtes“ war die Rede, von „ungerechten Vorwürfen“ und „Unverständnis“ angesichts der Kritik an der Größe des Baus, die auch Schröder hatte anklingen lassen. „Das Haus ist alles andere als die Reichskanzlei“, polterte Schultes. Er könne den Satz „Das hatten wir doch vor 60 Jahren schon einmal“ nicht mehr hören. Ist das Kanzleramt zur Angstnummer seines Architekten geworden? Gut möglich. Wessen Selbstbewusstsein derart angefressen rüberkommt, verliert sich in Längstbekanntem und hat den Blick nicht mehr frei für das Eigentliche. Geplant hatten Schultes und seine Partnerin Charlotte Frank 1994 zwei lang gestreckte Verwaltungsflügel, in deren Mitte sich der hohe Kanzlerturm erhebt, als Schlussstein jenes „Bandes des Bundes“, das sich quer über die Spree von Ostberlin bis zum Tiergarten spannen sollte.

In dieser Reihe von Gebäuden für die Bundestagsbibliothek, die Parlamentsbüros und das Kanzleramt fehlt jedoch das Sinn stiftende und Maßstab gebende Gelenk: „das Bürgerforum“, ein Bau als Zentrum der Achse für die Öffentlichkeit. Kastriert hat den roten Faden des Entwurfs Helmut Kohl, der herrisch darauf bestand, sein Amt als Solitär und Pendant zum Reichstag aus dem Spreebogen hochzuziehen.

Die Folgen sind nicht nur eine machtpolitische Dekonstruktion der Exekutive – Kanzler versus Bundestag – sondern bilden eine städtebauliche Katastrophe. Mit dem Verlust des zentralen Bindeglieds, der das Band zum städtischen Riegel für die Parlamentsstadt hätte werden lassen, bleibt das Kanzleramt als monströses Gebilde zurück: 335 Meter lang, 36 Meter hoch, mit 370 Büroräumen und Kabinettssälen in 8 Geschossen, auf einer Hauptnutzfläche von 19.000 Quadratmetern, mit Ehrenhof und Gartenfront in einer pathetischen Moderne samt glatten steinernen Außenfassaden, die nur die 13 gläsernen Wintergärten der Bürotrakte unterbrechen.

Schultes hat allen Grund, den „Eindruck übertriebener Größe wegen dieser Unterlassungssünde“ zu bejammern. Doch mehr auch nicht. Denn wenn dem Kanzleramt was fehlt, dann übertriebene Größe und die Pathosformeln der Macht, bricht es doch gerade mit stilistischer Programmatik. Betritt man etwa den Ehrenhof, begegnet dem Besucher gerade nicht Schinkels Kolonnadenreihe des Alten Museums mit den Säulen als Allegorien der Macht. Schultes lässt die Betonstelen frei stehen – als Raumskulpturen wie aus dem Haus herausgebrochen.

Die Handschrift der Offenheit und Transparenz, die auch den Bonner Parlamentsbauten anhaftete, setzt sich im Innern fort mit einer großen Treppe, dem hellen Foyer und dessen Fortsetzung in die Büroflügel und den Garten, die unter organisch geschwungenen Decken fließende Übergänge beschreiben. Aus diesem Foyer lässt Schultes den Kanzlerblock mit Konferenzsaal, Kabinettsebene, fast kleinen intimen Arbeitsräumen des Kanzlers und abschließend die Kanzlerwohung wie ein Haus im Haus wachsen, das sich nach oben immer mehr durch Loggien, riesige Fenster und Oberlichter öffnet und die eigentliche Bedeutung des Baus sichtbar werden lässt: die Durchdringung von bewegter Stadtlandschaft und Architektur, die der Assoziation einer Villa inmitten von Natur entspricht.

Dem Kanzleramt liegen der Reichstag, der Lehrter Bahnhof, der Tiergarten und die Stadt nicht „zu Füßen“. Sie bilden Perspektiven – sind der „Berliner Himmel, der durch das Gebäude pfeift“, wie Schultes einmal anmerkte – eines dialektischen Wechselspiels zwischen Innen und Außen, von Amt und Öffentlichkeit. Die Machtkulisse und Herrschaftsgeste Kohls hat Schultes durch das Raumgefühl wieder gebannt. Das ist die Botschaft und das Gegenteil der Speer’schen Reichskanzlei.

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