: Pikante Situationen
■ Mehr als Stil-Mix: Thomas Adès' raffinierte Kammeroper „Powder her Face“
Auch wenn Boris Becker selten in die Oper geht, Powder her Face sollte er nicht verpassen. Schließlich geht es um den Niedergang der glamourösen Herzogin von Argyll und ihr ausschweifendes Liebesleben (Fellatio inklusive!). Das Erfolgsstück ist jetzt auf der Probebühne der Staatsoper zu erleben.
Thomas Adès und sein Librettist Philip Hensher haben aus der Biografie der Herzogin eine raffinierte Kammeroper gebastelt. Die Rahmenhandlung spielt 1990 in einem Hotelzimmer. Die Schönheit der Herzogin ist verblasst. Vergessen von der High Society, deren Mittelpunkt sie einst war, blickt sie zurück auf ihr schillerndes, leeres Leben. Wie ein weiblicher Don Juan hat diese verheiratete Frau Liebhaber gesammelt. Als ein Foto auftauchte, das sie mit einem Unbekannten in flagranti zeigte, war der Skandal vorprogrammiert.
Sex auf der Bühne kann ja ganz schön peinlich sein. Gut, wenn ein Komponist wie Adès so gekonnt augenzwinkernd Erotik auszukomponieren weiß. Auch die Inszenierung von Petra Müller zeigt sich den pikanten Situationen gewachsen. In einer roten Riesenbadewanne geht es wiederholt und präzis choreografiert zur Sache. Überzeugend meistert das junge Sängerensemble die Tour d'amour. Michaela Schneider als Herzogin steigerte sich am Premierenabend zusehends und machte die Tragik ihrer Figur greifbar. In den übrigen Rollen zeigen drei Mitglieder des Opernstudios ihr Können. Neben Dirk Schmitz und Andreas Hörl lässt Susann Hagel mit glitzernden Koloraturen aufhorchen. Regisseurin Müller verlangt ihren Darstellern teilweise Slapstick-artigen Aktionismus ab, wohl inspiriert von den Comic-Elementen der Musik.
Powder her Face scheut den naiv-banalen Klangeffekt ebenso wenig wie das hehre Opernzitat oder Anklänge an Piazzolla-Tango und Songs der 30er Jahre. In seinem Bühnenerstling jongliert der Brite Adès virtuos mit den verschiedensten Stilen, verfremdet und kombiniert sie. Nicht nur aus Spaß am Mix, sondern vor allem, um die verschiedenen Episoden des biografischen Bilderbogens auch klanglich im jeweiligen Jahrzehnt zu verankern. Die 1995 uraufgeführte Kammeroper war schon in vielen Städten Europas und in New York zu sehen. Die Hamburger Erstaufführung leitet jetzt umsichtig Boris Schäfer. – Wie man hört, arbeitet der 30-jährige Adès gerade an einer neuen Oper. Schön.
Dagmar Penzlin
Weitere Vorstellungen: 30. April, 25., 28., 30. Mai, alle 19.30 Uhr, 13. Mai, 16 Uhr, Probebühne der Staatsoper am Schlicksweg
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