piwik no script img

Amerika ist grenzenlos

Das US-Imperium ist dem Römischen Reich sehr ähnlich. Aber ist die Epoche der Globalisierung mit dieser hergebrachten Sorte Macht überhaupt verträglich? Eher schon ist das Imperium Americanum die Verkörperung der modernen Globalisierung

Die innere Logik von Imperien zu verstehen wird nicht anachronistisch

von ROBERT MISIK

Die Worte „Empire“ und „Imperium“ sind unzweifelhaft die Renner unserer Tage. Da wird mal die konkurrenzlose Supermacht Amerika als neues weltumspannendes Imperium beschrieben – mal Toni Negri und Michael Hardt folgend die Netz-Ordnung des globalen Kapitalismus als Empire ohne imperiales Zentrum. In beiden Fällen klingt an, dass sich aus der scheinbaren Unordnung einer kontingenten Welt eine buchstäblich neue Ordnung herausschält – eine Ordnung jenseits des alten Mächtespiels der überlebten Nationalstaaten.

Wobei, dies ist nicht ohne Ironie, die radikale Linke und die Mitte die Seiten gewechselt haben. Entwarfen Negri, Hardt und ihre globalen Nachahmer ein Szenario, in dem den USA trotz ihrer Stellung als Hypermacht keine besondere Rolle zukommt, so stammen aus dem linksliberalen Mainstream die Deutungen, in denen die Supermacht in die Rolle des neuen Imperium Romanum rückt. Hier wird eine Macht geschildert, die mit martialischem Furor für Ruhe in den Provinzen sorgt, da sie chronisch besorgt ist um die Stabilität an der Peripherie ihres Herrschaftsraums. Die Führer der Supermacht können also von Seiten der Linksradikalen eine gnädigere Deutung erwarten als aus dem liberalen Zentrum.

Beiden Diskursen eigen ist, dass sie auch als Fortsetzung der Globalisierungsdebatte der 90er-Jahre gelesen werden können. Im „Empire“ nimmt die Globalisierung politische Gestalt an.

So gesehen ist es nicht nur Großmannssucht, wenn in US-Denkerzirkeln, und zwar nicht nur in den neokonservativen, von einem „neuen imperialen Moment“ die Rede ist. Amerika sei „dazu verdammt, die Führungsrolle zu spielen“, meint Sebastian Mallaby in Foreign Affairs. Max Boot hält vor dem Council on Foreign Relations ein Plädoyer „für ein amerikanisches Imperium“, und selbst Robert D. Kaplan passt sich analytisch der „imperialen Realität“ an. Man vergräbt sich jetzt auch häufiger in gut sortierten Bibliotheken, um die Erfahrungen der alten Römer oder der Briten mit ihren Imperien zu studieren. Das Pentagon hat im Vorjahr sogar eine vergleichende Studie über Weltreiche in Auftrag gegeben.

Im hiesigen Buchhandlungen kann man solche Studien schon kaufen. Einiges Aufsehen hat etwa der Journalist Peter Bender mit seiner großen essayistischen Parallelgeschichtsschreibung des Imperium Romanum und des Imperium Americanum erregt (siehe taz v. 12. 8. 2003). In Benders Deutung sind Rom und Amerika zwei Kolonisatoren-Gesellschaften, die, durch ihre nahezu insulare Lage geschützt, Jahrhunderte Zeit hatten, ihre Machtgrundlage zu schaffen. Was für die Römer der erste Krieg mit Karthago war für Amerika der Erste Weltkrieg – beide waren zum großen Waffengang eher genötigt. Beide haben sich ihr Reich fast zufällig zusammenverteidigt. Nach dem zweiten großen Krieg waren beide die ersten Weltmächte ihrer Zeit.

Was heute Peripherie ist, muss morgen verteidigt werden und wird um einen neuen Sicherheitsgürtel erweitert: Cordon legt sich um Cordon. Militärische Übermacht neigt dazu, sich militärischer Mittel zu bedienen. Die Gefahr besteht, dass das innere Gefüge der Weltmacht selbst infiziert wird: Wer überall auf der Welt für Ordnung sorgen muss, wird eine Kriegerkaste entwickeln, deren Gewicht auch auf der Binnenpolitik lastet. Der Ruhm, der den äußeren Aktivitäten entsprang, qualifizierte in Rom zur politischen Karriere. Das gilt für die USA nur bedingt, aber zumindest die Außenpolitik ist heute mehr Sache des Pentagons als der Diplomatie. Und: Der ernsthafteste Herausforderer des gegenwärtigen Präsidenten ist ein ehemaliger General.

So erstaunlich die Analogien zwischen Rom und Amerika sind, so signifikant sind freilich auch die Differenzen. So besitzt Amerika zwar zahlreiche Militärstützpunkte und Verbündete, aber kaum Provinzen, in denen es direkt regiert. Was Weltreiche aber vereint, ist die imperiale Handlungslogik, sozusagen der Druck, nicht nur A, sondern auch B zu sagen, wie er „normalen“ Nationalstaaten eben nicht eigen ist. Dass dies lange verdrängt wurde, nennt der Berliner Politologe Herfried Münkler „Imperiumsvergessenheit“.

Dieses lange Desinteresse, schreibt Münkler in dem lesenswerten Sammelband „Empire Amerika“, habe zu strukturellen Missverständnissen geführt. Amerikas Partner glaubten, sie hätten ein Recht auf Gleichbehandlung, und das internationale Recht hat diese Illusion noch bestärkt: Dabei ist für Münkler der wichtigste Unterschied zwischen staatlicher und imperialer Macht, „dass sich Staaten gegenüber anderen Staaten in einem reziproken Verhältnis befinden und es zum Wesen der Staatlichkeit gehört, diese Reziprozitätsbeziehung auch anzuerkennen, während dies bei Imperien gerade nicht der Fall ist“.

Amerika verfügt über die besten Waffen der Welt, und selbst der Hinweis, dass das Militärbudget der USA so viele Dollars verschlingt wie das der achtzehn folgenden Nationen, verschleiert mehr als er verdeutlicht: Die anderen Nationen verfügen nicht nur über weniger militärische Machtmittel als die USA, sie verfügen schlicht über keine, die mit denen der USA auch nur verglichen werden könnten – sieht man von den russischen Atomsprengköpfen ab. Amerika nennt militärische Einrichtungen, meist Basen, in 132 Ländern der Welt sein Eigen.

Und doch sind die USA, mit den Worten des britisch-amerikanischen Politologen Michael Mann, ein paradoxes Imperium, eine ohnmächtige Supermacht: Sie stellt sich Aufgaben, die sie nicht zu erfüllen vermag; sie ist unwillig, „permanent über fremde Länder zu herrschen“; sie hofft, indirekt und informell Einfluss nehmen zu können, nistet sich ein und kapselt sich doch ab. Selten gelingt die Befriedung einer „Problemzone“, wie gerade das Fiasko im Irak zeigt. Für das Engagement und die Mannschaftsstärken, die dafür nötig wären, fehlt jetzt zu Hause die Unterstützung. Die Stützpunkte, die Amerika unterhält, dienen praktisch nie der direkten Herrschaftsausübung. Ja, sie führen sogar nicht selten zu Antiamerikanismus und damit auch zur Destabiliserung der verbündeten Regierungen. „Imperialismus aus dem Stegreif“, so Manns Verdikt.

Die US-Führung erfährt derzeit von Linksradikalen eine gnädige Deutung

Zum Herrschen verschworen hat sich Amerika nicht; eher das Gegenteil. Dennoch hat es eine imperiale Herrschaft eigener Art entwickelt, die von Widersprüchen wahrhaftig nicht frei ist. Vom „Selbstmord der amerikanischen Demokratie“ zu sprechen, wie es Chalmers Johnson tut, ist zumindest ein wenig übertrieben, auch wenn sich schwer bestreiten lässt, dass das Gewicht des Militärs innerhalb der US-Politik wächst, dass die Special-Forces zu einer Privatarmee des Präsidenten zu werden drohen und dass der zupackende Invasionssoldat in zunehmenden Maße zu einem Vorbild stilisiert wird. Amerikas Machtraum ist jede Region, aus der Gefahr drohen könnte – also die ganze Welt.

Für das Militär der USA gilt, wie für alle Bürokratien: Niemals räumt es freiwillig eine Stellung, auch wenn man nicht immer genau weiß, wozu sie noch nötig ist. US-Militärstützpunkte werden zu Staaten in Staaten, die zugleich vorgeschobene imperiale Posten sind wie auch Vergnügungsparks für tausende Einwohner – militärisches Personal, aber auch ziviles, vom Putzdienst über den Diskobetreiber bis zum Gartenpfleger. Die imperiale Struktur gewinnt gewissermaßen ein Eigenleben. Hat die Politik einmal militärische Schlagseite, ist das schwer rückgängig zu machen. Die Problemlösungen von gestern und heute werden mit hoher Wahrscheinlichkeit schon der Gewohnheit wegen auch die Lösungen von morgen sein. So wie aus diesen so genannten Lösungen ganz gewiss die Probleme von morgen und übermorgen resultieren. Bei den Römern war’s nicht anders.

Und doch ist der neue imperiale Raum anders strukturiert als in den Zeiten von Caesars Streitwagen und berittener Boten. Er funktioniert nach einer imperialen Logik, gegen die eine Netzwerklogik immerzu konspiriert. So weit ist der Einspruch zeitgenössischer Sozialwissenschaftler unterschiedlichem Zuschnitts wie Manuel Castells, Toni Negri, Michael Hardt oder Ulrich Beck immerhin berechtigt. Sie alle bestehen darauf, dass die Ausübung einer solchen Sorte Macht für die Interessen, denen sie dienen soll, „immer ineffektiver“ (Castells) wird.

Der Versuch, die innere Logik von Imperien und damit auch die Handlungszwänge der amerikanischen Hypermacht zu verstehen, wird damit aber nicht anachronistisch. Das betont auch der linke italienische Theoretiker Giovanni Arrighi in dem Band „Kritik der Weltordnung“ , der eine Auseinandersetzung mit den Thesen Negri/Hardts bietet. Auch wenn wir uns in einer Phase des widerspüchlichen Übergangs „von der Nationalstaats- zu einer Weltstaatsphase kapitalistischer Herrschaft“ befinden mögen, so wird diese Phase eher sehr lange dauern. Es liegt also nahe, „dass einige Nationalstaaten oder auch Staaten, die hybride Formen aus National- und Weltstaat bilden, zu den Protagonisten dieses Übergangs werden dürften“.

Damit markiert Arrighi den Schnittpunkt, an dem sich die verschiedenen Stränge der „Imperiums“-Debatte, aber auch kapitalistische Globalisierung und außenpolitische Militarisierung durch die USA, Dynamiken zur Dezentralisierung und Tendenzen einer Re-Kolonialisierung kreuzen. Insofern gilt tatsächlich: Das Empire ist die Globalisierung als Gestalt.

Michael Mann: „Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können“, 360 Seiten, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2003, 24,90 € Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hg.): „Empire Amerika. Seitenperspektiven einer neuen Weltordnung“, 280 Seiten, DVA, München 2003, 16,90 €ĽChalmers Johnson: „Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie“, 480 Seiten, Blessing, München 2003, 23 €ĽThomas Atzert/Jost Müller (Hg.): „Kritik der Weltordnung. Globalisierung, Imperialismus, Empire“, 142 Seiten, ID-Verlag, Berlin 2003, 14 €ĽPeter Bender: „Weltmacht Amerika. Das neue Rom“, 296 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2003, 19,50 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen