Mit Wachstum in den Ruin

Die Gemeindefinanzreform der Bundesregierung baut weiter auf wachsende Städte und Gemeinden. Das vernachlässigt ökologische Prinzipien und ökonomische Erfordernisse

Investitionen auf der grünen Wiese und im Umland von Hochpreisregionen sind langfristig erfolglos

Die von der Bundesregierung geplante Gemeindefinanzreform verdient ihren Namen nicht. Denn die staatlichen Zuweisungen, rund 30 Prozent aller Einnahmen, der Einkommensteueranteil, die Grundsteuer und auch Infrastrukturausgaben bleiben außen vor. Und die beabsichtigten Veränderungen werden wohl nicht einmal den Winter überstehen.

Länger werdende Wege zu Schule und Theater, ein ausgedünnter öffentlicher Nahverkehr, Wohnungsabriss und Investitionsstau in Millionenhöhe bei der Sanierung der Infrastruktur kennzeichnen die Situation in vielen Kommunen. Sie wird sich durch die demografische Entwicklung verschärfen.

Immerhin dringt allmählich in das öffentliche Bewusstsein, dass sich steigende Kosten auf immer weniger Einwohner in immer ärmeren Kommunen verteilen; und dass private und öffentliche Aufwendungen umso höher ausfallen, je verstreuter Bewohner, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in den Kommunen und über das Land verteilt sind. Davon sind vor allem Frauen, Kinder, Jugendliche und die wachsende Zahl alter Menschen betroffen. Mit Nachhaltigkeit hat das alles nichts zu tun. Noch profitieren peripher gelegene, locker bebaute und somit teure Siedlungsteile von der Quersubventionierung durch städtebaulich integrierte, effizient genutzte und daher tatsächlich vergleichsweise kostengünstige Standorte beziehungsweise deren zahlende Bewohner, Nutzer und Eigentümer. Künftig wird es nicht nur auf breiter Front zu einem Nachfragerückgang und Werteverfall des Immobilienbestandes kommen. Wer heute noch in Randzonen baut, muss auch mit überproportional steigenden Betriebs- und Lebenshaltungskosten, mitunter auch sozialer Isolation rechnen.

Wenn sich die Kommunen in dieser Situation auf ihre Kernaufgaben und -bereiche und auf Bestandserhalt und -optimierung konzentrieren, dann stärkt das auf Dauer ihre Finanzkraft und Finanzautonomie. Der Weg dahin führt zunächst über Bund und Länder. Doch sowohl die Bundesregierung als auch die Länder verharren mit ihren Konzepten in einer Vergangenheit, in der unsere Städte und Gemeinden fast ausnahmslos von Zuwachs geprägt waren und der Staat die dafür geeigneten Instrumente, Mittel und Wege bereitstellte. Diese führen heute aber geradewegs in den Ruin. Das gilt besonders für die Gemeindefinanzierung. Denn sie ist nach wie vor auf Zuwachs angelegt, setzt Zuwachs voraus und hat Zuwachs zur Folge.

Zwei Beispiele: Die Grundsteuer ist zwar im Prinzip eine gute Gemeindesteuer. Grund und Boden kann nicht weichen, zu vielen kommunalen Leistungen besteht ein enger Zusammenhang, Einnahmen fließen stetig, und die Belastung verteilt sich auf zahlreiche Schultern. Unverständlich also, warum die Grundsteuer in den bislang diskutierten Modellen einer Gemeindefinanzreform nicht vorkommt. Allerdings wirkt sie auf die Siedlungsentwicklung expansiv. Denn ausgerechnet bebaubare, also unbebaute, aber erschlossene Grundstücke sowie die wegen des hohen Anteils an Erschließungs- und Nebenflächen stark flächenzehrenden und mit hohen Folgekosten verbundenen Ein- und Zweifamilienhaussiedlungen in den Randzonen werden am geringsten belastet. Anreize für die nötige Innenentwicklung und für eine flächensparende Bebauung (Hochhäuser zählen nicht dazu!) sind in der Grundsteuer aktueller Prägung nicht enthalten.

Die Kommunen stehen außerdem untereinander in einem einfalls- und nahezu aussichtslosen Wettbewerb um Unternehmen (Gewerbesteuer) und Einwohner (Einkommensteuer) und verausgaben für die Baulandbereitstellung Millionenbeträge. Das Preisgefälle zwischen Stadt und Land im Verein mit der Steuerpolitik nötigt die Städte und Gemeinden zu einem solchen Expansionskurs. Dabei hat sich längst herumgesprochen: Arbeitsplätze, die an einem Ort geschaffen werden, gehen andernorts verloren und sind ohnehin recht flüchtig; die Menschen ziehen nur von einer Kommune in die andere. Klinkt sich eine Kommune aus diesem Wanderzirkus aus, droht ihr bislang die Ausblutung. Wie auch immer: Viele werden früher oder später vor dem unbezahlbaren Trümmerhaufen ihrer Zersiedelung stehen.

Deutlich wird, dass sich Nachhaltigkeit mit den alten Rezepten nicht gestalten lässt. Investitionen auf der so genannten grünen Wiese und im Umland der Hochpreisregionen sind nur kurzfristig rentabel. Staat und Politik sind daher gefragt, korrigierend einzugreifen. Kommunen ebenso wie ihren Bewohnern und den Unternehmen muss nicht mehr länger Expansion, sondern Bestandspflege, Kompaktheit im menschlichen Maßstab und Verweilen am Ort so attraktiv wie möglich gemacht werden. Besonders für Familien muss das Leben in der Stadt angenehm werden, Unternehmen muss die Entscheidung für einen städtebaulich integrierten Standort unterm Strich Vorteile bringen. Die Kosten für Bau, Unterhalt und Sanierung der Infrastruktur müssen verursachergerecht verteilt werden. Die Kommunen müssen in einen Wettbewerb um nachhaltige Entwicklung treten, sich nach Kräften um die Wohn-, Standort- und Lebensqualität und um individuelle Bedürfnisse der lokalen Wirtschaft kümmern können.

So sollte die Grundsteuer künftig ideell wie materiell eine viel größere Rolle spielen und in ihrer lenkenden Wirkung neu ausgerichtet werden. Innerhalb der Siedlungen müssen sich mit ihrer Hilfe das Bauen wie auch das Ausnutzen und der Eigentumswechsel des Gebauten und Erschlossenen wieder lohnen. Das läuft nicht nur auf eine andere Bemessung hinaus, bei der Größe und Lage des Grundstücks und der Bodenwert maßgeblich sein müssen, sondern auch auf eine deutliche Mehrbelastung erschlossener und/oder untergenutzter Grundstücke. Für diese Zwecke kann mit Hilfe einer Stichtagslösung und unter Zuhilfenahme des Baugesetzbuches der besiedelte Bereich einer Kommune dauerhaft von dem so genannten Außenbereich unterschieden werden.

Steigende Kosten verteilen sich auf immer weniger Einwohner in immer ärmeren Kommunen

Doch eine runderneuerte Grundsteuer genügt nicht. Grunderwerb im besiedelten Bereich sollte von der Grunderwerbsteuer befreit werden. Die Gewerbesteuer sollte zur Ansiedlung von Betrieben auf bereits erschlossenem Gelände anregen. Und der Anteil der Städte und Gemeinden an der Einkommensteuer könnte variabel gestaltet werden: Kommunen, die ihre Kräfte und Investitionen nachweislich auf den Bestand konzentrieren, die zudem in hohem Maße in Grünräume und Lärmminderung investieren, sollten einen Zuschlag erhalten. Auch der Finanzausgleich bietet zahlreiche Möglichkeiten, den Kommunen eine langfristig vernünftige Entwicklung schmackhaft zu machen. Auf diese Weise können Finanzautonomie und Finanzkraft der Kommunen nachhaltig gestärkt und die Gemeindefinanzierung über den Tag hinaus reformiert und somit zukunftsfest gemacht werden.

ULRICH KRIESE