reformstreit eskaliert: SPD übt Rummelboxen
Ha, ha. Selten so gelacht. Christoph Matschie hat seinen Parteifreund Ottmar Schreiner, das personifizierte Rebellentum in der SPD, mit einem ganz, ganz originellen Satz angemacht. „Ottmar Schreiner macht sich allmählich zum Dieter Bohlen der Politik“, sagt Matschie.
Kommentarvon JENS KÖNIG
Nun könnte man es leicht nehmen und feststellen, Christoph Matschie mache sich allmählich zur Verona Feldbusch der Politik. Aber dieser Vergleich wäre dann vielleicht doch zu viel der Ehre für Matschie. Christoph wer? ist nämlich die einzige Frage, die einem bei dem Thüringer SPD-Chef einfällt. (Für alle Forschungsfreunde sei noch erwähnt, dass Matschie ab und zu auch als Staatssekretär für Bildung amtiert.) Man muss darüber jedoch noch ein Wort mehr verlieren, weil Matschie für ein spezielles Problem der SPD steht: den tiefen Fall der Debatte auf das Niveau von Rummelboxen.
Als „feige“ und „kleinkariert“ sind die sechs Neinsager der Fraktion beschimpft worden, als „charakterlose Gesellen“, die von einer „Art Todessehnsucht befallen“ seien. Man staunt, dass noch kein Genosse die Abweichler mit palästinensischen Selbstmordattentätern verglichen hat.
Natürlich kann man als SPD-Reformer anmerken, dass manch einer der Schröder-Kritiker die globalisierte Welt nicht so sieht, wie sie nun mal ist, und deswegen Vorschläge von vorgestern macht. Man kann als braver SPD-Hinterbänkler finden, dass einige Kritiker nicht nur ihr Gewissen als frei gewählte Abgeordnete pflegen, sondern auch ihr Image als sozialdemokratischer Robin Hood. Man kann als treuer Anhänger des Kanzlers sogar sagen, dass es mit dem Gewissen eines Abgeordneten vereinbar sein kann, der Partei ein Opfer zu bringen – im Dienste des Großen und Ganzen, also des Überlebens der eigenen Regierung. Das alles kann ein guter Sozialdemokrat tun – aber er sollte die Genossen, die das anders sehen, nicht als durchgeknallte Wichtigtuer abqualifizieren. Und schon gar nicht sollte er intellektuell so überhitzen wie SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, der gestern behauptete, eine westliche Demokratie könne nur funktionieren, wenn eine Regierung im Parlament immer die eigene Mehrheit hinter sich habe.
Vielleicht gibt es für diese Amokläufe eine einfache Erklärung: Die Reformkritiker vertreten nur Positionen, die bis vor einem Jahr noch fast jeder Genosse für richtig gehalten hat. Und auch ein Sozialdemokrat hasst nichts so sehr wie die eigenen Überzeugungen von gestern.
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