: „Mein Nazi und ich“
Ein Gespräch mit dem New Yorker Sänger und Schriftsteller Adam Green über Frank Sinatra und Sex mit Mädchen ohne Beine sowie darüber, wie ihn sein Kollege Beck einmal zu Scientology schleppte
INTERVIEW ARNO FRANK
taz: Im Sommer 2004 sind Sie auf einem Festival in der deutschen Provinz aufgetreten …
Adam Green: Welches Festival war das?
Das „Immergut“, eine Autostunde nördlich von Berlin, und dort …
Wo ist das?
Bei einem Städtchen namens Neustrelitz. Tief in der deutschen …
Seen, Wald, und alle 45 Minuten fährt 200 Meter hinter der Bühne diese Bimmelbahn vorbei?
Genau. In die Gegend, von der man sich gerne erzählt, die Jugend dort wäre manchmal für antisemitische Ideen aufgeschlossener als anderswo. Auf dieser Bühne also singt ein junger Jude aus New York liebevoll von seinem „nazi friend“ …
Bei mir daheim in Brooklyn benutzen wir das Wort „Nazi“ manchmal, um einen Kontrollfreak zu beschreiben. In „The Prince’s Bed“ singe ich diese Zeile über einen guten Freund: „Good night to my nazi friends“. Nachdem er den Song gehört hatte, tauchte er mit ein paar seiner Kumpels bei mir auf. Die waren alle von der „Aryan Youth“ und fühlten sich persönlich angesprochen, weil sie die „Nazi“-Metapher sprichwörtlich verstanden haben. Das Wort ist buchstäblich geworden. Das ist komisch. Aber ich glaube, mein Nazi und ich, wir sind immer noch gute Freunde.
Tatsächlich.
Klar! Du musst deine Freunde ja nicht wirklich mögen.
Musst du nicht?
Nein. Wussten Sie das nicht?
Ich bestreite es. Musst du nicht mögen, mit wem du deine Tage verbringst?
Menschen haben Freunde, die sie noch nie getroffen haben, und Feinde, mit denen sie alle am liebsten alle ihre Tage verbringen würden. Darum geht es auf meinem ersten Album „Friends Of Mine“.
Wann haben Sie zuletzt auf einen Freund gehört?
Als es mir so richtig schlecht ging, weil ich mir auf Tour mit den Moldy Peaches die Hand verletzt hatte und ein Jahr lang keine Songs auf der Gitarre komponieren konnte. Da hatte ich eines Nachts diesen komischen Traum. Ich war hinter der Bühne im Umkleideraum von Frank Sinatra. Er riet mir, die Gitarre ganz wegzulegen und Songs so zu schreiben, wie ich sie in meinem Kopf höre. Mysteriöserweise meinte er auch noch, ich solle mir kein Tattoo machen lassen. Ich habe aber schon eines!
Und?
Ich habe es ihm gestanden, und er sagte: „Hm, in Ordnung, Junge: Ich habe auch ein Tattoo. Aber lass dir kein zweites machen!“ Und ich sagte: „Hm, okay“, und habe seine Anweisung bisher beherzigt. Ich meine, wer Frank Sinatra als persönlichen Berater hat, der sollte seinen Rat auch ernst nehmen. Jedenfalls hatte ich nie daran gedacht, mir so ein Spielzeug zu kaufen, bis ich am nächsten Morgen an einem Elektrogeschäft vorbeispazierte und das hier … (wühlt in seinem Rucksack und legt einen kleines silbernes Gerät auf den Tisch) im Schaufenster sah.
Was ist das?
Ein mp3-Aufnahmegerät. Dieses dumme Ding befreit mich von der Gitarre als Instrument zum Songwriting. Hier kann ich immer und überall draufsummen oder draufplappern, was mir an Melodien und Texten in den Sinn kommt. Meine Band setzt dann um, was ich in meinem Kopf gehört habe.
Sinatra hat keinen Song und kaum einen Text selbst geschrieben, sondern immer nur das Material anderer Leute interpretiert.
Bei mir ist das anders, ich mache alles selbst. Vielleicht ist die Zeit großer Interpreten, richtiger Crooner einfach vorbei. Bei mir kommen Groove, Melodien und Lyrics immer gleichzeitig.
Das eine funktioniert nicht ohne das andere?
Ich glaube, Text und Musik sind verheiratet, ja. Dazu kommt meine Stimme, mit der ich arbeite wie mit einem Instrument. Das habe ich auch von Sinatra gelernt. Ganz alleine, nackt, ohne die Musik, würden meine Texte vermutlich nicht bestehen.
Und doch erscheint von Ihnen jetzt in Deutschland eine Anthologie aus Notizen und Gedichten: „Magazine“.
Ah, dafür habe ich … Moment ! (wühlt wieder in seinem Rucksack und legt ein zerfleddertes schwarzes Notizbuch auf den Tisch) … das hier, da schreibe ich immer hinein, was mir so durch den Kopf geht, manchmal Gedichte, manchmal einfach nur Listen mit Einzeilern. Es erscheint nun bei Suhrkamp als Buch, was mir sehr schmeichelt.
Es wurde übersetzt von dem Musiker und Schriftsteller Thomas Meinecke.
Ich habe ihn leider noch nicht kennen gelernt. Ich hoffe, er hat ganze Arbeit geleistet. Es sind eben Sachen, die ich besser nicht singen sollte …
Sie singen lieber Gemeinheiten über fette Prinzessinnen, Sex mit Mädchen ohne Beine oder während der Menstruation.
Es gibt halt Mädchen ohne Beine, und sie haben Sex. Finden Sie das provokant?
Nein, aber Ratschläge für Sex mit Mädchen ohne Beine: „There’s no wrong way to fuck a girl with no legs / Just tell her you love her as she’s crawlin’ away“. So was steht dann neben poetischen Bildern wie „She’s kissing all the windows clean“ .
Finden Sie das nicht komisch? Aber Sie haben Recht, ich füge der Musik damit einen besonderen Geschmack hinzu. Die Melodien sind schön, der Gesang ist schön – und plötzlich beißt der Song zu!
Und ist dann auch schon wieder vorbei. Kaum ein Stück dauert länger als drei Minuten, Ihr aktuelles Album „Gemstones“ ist wieder nur eine halbe Stunde lang. Nicht gerade üppig.
Nein, nur ökonomisch. Meine Arbeit besteht darin, den Wildwuchs an Ideen aufzuforsten. Ich schneide nur noch das Fett weg. Ständig stehe ich vor der Frage: Noch einen Chorus? Streicher oder nicht? Ein Solo? Vielleicht ein Rhythmuswechsel? Songwriting ist eine Kette von klaren Entscheidungen, ja oder nein. Die guten Dinge enthüllen sich von selbst, wenn man sie lange genug beobachtet und befragt …
… also die Position eines Außenseiters annimmt.
Ja, das könnte so eine jüdische Eigenart sein. Schauen Sie sich Bob Dylan oder Randy Newman an.
Aber religiös sind Sie nicht?
Nein. Ich hatte da mal so eine Phase. Beck hat ziemlich penetrant versucht, mich für Gott zu interessieren.
Beck? Beck Hansen?
Ja, der Sänger. Kennen Sie diese Religion, wie heißt sie doch gleich, Scientology?
Ja. In Deutschland gilt das nicht als Religion.
Beck hat eine Zeit lang ständig versucht, mich da hinzuschleppen. Er ließ nicht locker, also tat ich ihm den Gefallen und bin in die Kirche von Scientology gegangen. Dort habe ich gemerkt, dass ich wohl wirklich nicht religiös bin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen