Geklonte Regie

Nicht denken, kein Sex und dann auch noch Stoff für die Actionschlacht: Klone sind arm dran in Bays „Die Insel“

Wer erinnert sich nicht gern an die wuseligen Spermien in Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …“? Eines davon, mit einer dicken Hornbrille im Gesicht, hatte Selbstzweifel. Was machen wir hier eigentlich? Und was geschieht mit uns dort draußen? Die einen, hieß es, trügen zum Fortbestand der Menschheit bei. Wer Pech hat, wurde gemunkelt, kommt in ein Taschentuch. In einem ähnlichen Bewusstheitszustand und in denselben drolligen weißen Ganzkörperanzügen, lebt ein Teil der Menschheit in „Die Insel“. Dass sie an einem großen Projekt arbeiten, wird ihnen täglich versichert. Aber dass sie Klone sind und den richtigen Menschen dort draußen zum bösen Zweck dienen, ja dass es dieses „Draußen“ überhaupt gibt, dürfen sie nie erfahren. Zur Ablenkung hält man sie mit einer kleinen Lotterie auf Trab: Wer Glück hat, kommt auf „die Insel“.

Das auf großen Leinwänden versprochene Karibikatoll, man ahnt es schon, ist rein virtuell. Es ist der Traum im Traum vom entmündigten Leben, in dem es sich ganz gut aushalten lässt. Das Klonlabor, für seine Insassen die ganze Welt, ähnelt einer Art Shopping Mall. Sanfte Ozeanfarben vermitteln ein Gefühl harmonischen Miteinanders, aus unsichtbaren Lautsprechern rinnt ein kaum hörbares Dauergedudel. Hier muss niemand denken. Man muss es auch nicht verbieten, denn man – wer immer das ist – hält die niedlichen Replikanten auf dem geistigen Level 15-jähriger Kinder. Von Sex wollen und sollen sie schon gar nichts wissen – was mit Klonmaterial wie Scarlett Johansson und Ewan McGregor natürlich nicht lange gut gehen kann. Nicht nur entwickelt Lincoln Six-Echo (Gregor) pubertäre Gefühle für seine Kollegin Jordan Two-Delta (Johansson). Er beginnt auch Fragen zu stellen.

Das sind so die Reste einer brauchbaren Science-Fiction-Story, die man Michael Bays neuem Film durchaus noch anmerkt. Seine schöne neue Welt enthält im Grunde alles, was man von der Zukunft erwarten darf: Gentechnik, manipulierte Identitäten, virtuelle Welten, einen freundlichen Kontrollstaat mit einem gar nicht schönen Hang zur Euthanasie. Die Würze liefern, wie es sich gehört, gewisse Parallelen dieser Zukunft zur Gegenwart. Aber „Die Insel“ hat ein handfestes Problem: den Regisseur. Man kennt Michael Bay als finsteren Adlatus des Produzentenfieslings Jerry Bruckheimer. „Pearl Harbour“ ging auf ihr Konto. Aber Bay bringt die Action auch alleine. Nicht nur klont er mit „Matrix“, „Minority Report“, „Truman Show“ und „Blade Runner“ alles, was sich im Sci-Fi-Genrepool als überlebensfähig erwiesen hat. Er lässt es sich auch nicht nehmen, es spätestens nach der Flucht seiner Helden in die Luft zu jagen. Six-Echo und Two-Delta sind bald nur noch Brennmasse für eine halbstündige Verfolgungsjagd auf dem Highway. Mit Klonen kann man’s ja machen.

Die tiefe Wahrheit und ganz banale Enttäuschung solcher Gigaproduktionen liegt in ihrem selbsterklärenden Moment. Sie liefern nicht mehr als Affirmationen der Zustände, die sie vorgeblich kritisieren. Mit manipulierten Materialwelten, in denen man den Figuren gerade so viel Charakter zugesteht, wie es die Konstruktion erlaubt – oder, wie vielleicht in diesem Fall, der gerade aktuelle Standpunkt des US-Präsidenten in der Stammzellendebatte. Schade ist es dabei um die, die man noch immer für die Guten halten will. Ewan McGregor kommt aus der Actionmühle nicht mehr raus. Scarlett Johansson schlittert gerade mit Karacho hinein. Zum Glück kommt sie bald wieder in einem Film, den der Mann mit der Hornbrille gemacht hat.

PHILIPP BÜHLER

„Die Insel“, Regie: Michael Bay. Mit Ewan McGregor, Scarlett Johansson, Djimon Hounsou u. a., USA 2005, 136 Min.