: STALIN: Hermann Weber "Weiße Flecken in der Geschichte - Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung"
Der Stalinsche Terror kostete Millionen Menschen das Leben. Hermann Weber hat einen winzigen Ausschnitt aus dem realen Sozialismus der 30er und 40er Jahre näher betrachtet: Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen. Er listet auf, nennt Namen, führt Buch:
„In Deutschland wurden zwischen 1933 und 1945 fünf Politbüro -Mitglieder aus der Zeit der Weimarer Republik ermordet: 1934 John Schehr, 1939 Walter Stoecker (der freilich nur drei Monate im Jahr 1924 dem Politbüro angehörte), 1943 Konrad Blenkle, 1944 Ernst Thälmann und Ernst Schneller. Werner Scholem, 1940 im KZ Buchenwald ermordet, gehörte zwar 1924 dem Politbüro an, er war aber bereits 1926 aus der KPD ausgeschlossen worden. In der Sowjetunion kamen während der Stalinschen Säuberungen fünf Mitglieder und zwei Kandidaten des Politbüros der KPD der Weimarer Republik ums Leben: Hugo Eberlein, Leo Flieg, Hermann Remmele, Hermann Schubert, Fritz Schulte sowie Heinz Neumann und Heinrich Süßkind. August Kleine-Guralski wurde in den Säuberungen verhaftet, überlebte aber.“
Kurzbiographien von 242 in der Sowjetunion ermordeten oder verchollenen deutschen Kommunisten, dazu 25 von in der UdSSR Verhafteten, die überlebten. Eine Schreckensbilanz. Wer vor Hitlers KZ ins „Vaterland der Werktätigen“ geflohen war, hatte die allergeringsten Überlebenschancen. Die sowjetischen Genossen machten ihm den Garaus. Oder seinen Kindern oder allen zusammen. Ein System war und ist bis heute nicht zu erkennen. Terror eben.
In der Sowjetunion werden die Opfer jetzt rehabilitiert. Es erscheinen Artikel, die die Lügen der Stalinschen Anklagen aufdecken; man beginnt über Wiedergutmachung zu sprechen. In der DDR, darauf weist Hermann Weber hin, ist davon noch herzlich wenig zu spüren. „Auch in den jüngsten Arbeiten der SED zu der Zeit 1933-1945 sind diese Personen eben nicht als Opfer Stalins genannt und schon garnicht als rehabilitiert vorgestellt. So hat Heinz Kühnrich 1983 in seinem Buch über die KPD 1933-1945 die Säuberungen völlig verschwiegen, er schreibt sogar, in der UdSSR konnten die Kommunisten 'unter der Obhut des sozialistischen Staates ihren Kampf fortsetzen'“. Ob mit 'Obhut‘ das Lagerpersonal des Archipel Gulag gemeint war?
Weber übersieht nicht die kleinen Zeichen, die in eine andere Richtung weisen. Er erwähnt Trude Richters Lagererinnerungen, die in Sinn und Form, Heft 3, 1988 erscheinen konnten. Aber er lenkt ganz zu Recht unsere Aufmerksamkeit auf die verlogene, selbstgerechte Stilisierung der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung: „obwohl die 'Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung‘ in acht Bänden 5 000 Seiten umfaßte, enthielt sie über die Säuberungen nur einige wenige Zeilen. Dort wurde in dürren Worten vom Personenkult um Stalin und 'Verletzung der Gesetzlichkeit‘ gesprochen.“
Die Entwicklung in der Sowjetunion ist inzwischen wesentlich weiter. Nicht nur über die Lager wird heute debattiert, sondern auch über Verbrechen wie Katyn. In der neuesten deutschen Ausgabe von moskau news schreibt Alexander Wassinski, Sonderkorrespondent der Iswestija: „Die Doktrin des Stalinismus zog nur die Dimensionen und das Glück der Kaserne in Betracht. Etwas Kleineres interessierte sie nicht. Wir aber wissen: In den beglückten Massen gibt es am meisten unglückliche Menschen.“
Hermann Weber, „Weiße Flecken“ in der Geschichte - Die KPD -Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, isp-Verlag, 182 Seiten, 19,80 DM
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