piwik no script img

Auslandskorrespondenten können nur Staatsfeinde sein

In Israel hat die Zensur zwar ihren Stachel verloren, doch wirkt sie weiter als gesellschaftlicher Druck / Ist man für Israel, muß man schweigen, oder man schreibt und ist damit Träger „schlechter Nachrichten“ / Autoaufkleber gegen „feindliche Medien“ / Journalisten wurden wiederholt von Schlägerbanden überfallen  ■  Aus Tel Aviv Amos Wolin

Wer nach den Schwierigkeiten eines Korrespondenten in Israel fragt, erwartet gewöhnlich Klagen über die Zensur. Aber die erscheint inzwischen als eines der kleineren Übel, obwohl die Selbstzensur, die aus der allgegenwärtigen, wenn auch unauffälligen Aufsicht des Großen Bruders herrührt, bei jedem Reporter tatsächlich einen starken, halbwegs unbewußten Filter schafft. Als gute Pavlovsche Hunde lernen wir schnell, Grundregeln und Tabus zu beachten, so daß intelligente und überarbeitete Zensoren merken: Sie können sich darauf verlassen, daß Korrespondenten (und Autoren der israelischen Medien) gewöhnlich selbst den Rotstift ansetzen. Es läuft auf eine stillschweigende Partnerschaft hinaus, mit der beide Seiten leben können. Sie wissen, daß wir wissen, daß man uns im Auge behält... Daher hat die israelische Zensur ihren Stachel verloren - verglichen mit anderen Einwirkungen und Einflüssen, die klare Grenzen abstecken und uns Berichterstatter aus Israel zwingen, Zurückhaltung zu üben oder die häufigen Konflikte mit unserem eigenen Gewissen durch einen Kompromiß zu lösen.

Aber: Wenn der Reporter die Wahrheit kennt und sich verpflichtet fühlt, sie zu veröffentlichen, stößt er auf stärkere Barrieren. Zunächst einmal gibt es hier einen starken „atmosphärischen Druck“, den wir nicht ignorieren können. Er wirkt als mächtiger Zwang in einem kleinen Land, das sich ständig in einem kriegsähnlichen Zustand befindet; dessen Bevölkerung aus allen Teilen der Welt zusammengewürfelt ist und vorwiegend von einer alles überwältigenden Propaganda zusammengehalten wird, die über ein einziges Fernseh- und Radionetz ausgestrahlt wird. Uns sitzt ständig eine recht konformistische und intolerante Gesellschaft im Nacken, die kaum eine Abweichung von den Normen des „nationalen Konsenses“ erlaubt.

Zum Beispiel mein Arzt in der Histadrut-Klinik, der aus seiner rechten Gesinnung kein Hehl macht. Bei jedem Besuch erzählt er mir aufs neue, ein Auslandskorrespondent müsse Israel feindlich gesonnen sein. Berichtenswerte Geschichte aus diesem Land sind tatsächlich von einer Art, die Israel in ein schlechtes Licht rücken, wenn sie im Ausland veröffentlicht werden. Man ist also entweder „für Israel“ - dann muß man schweigen; oder man schreibt seine Artikel und kann dann gar nichts anderes als eine Art Verräter sein. Nicht die Fakten, nicht das, was den Palästinensern angetan wird, ist falsch: Es ist der Träger „schlechter Nachrichten“, der zum Schweigen gebracht oder bekämpft werden muß.

Aufkleber gegen

„feindliche Medien“

Daher sind Journalisten im allgemeinen und insbesondere jene, die aus den besetzten Gebieten berichten, bei den Israelis nicht gerade gern gesehen. Eine Kollegin, die für eine israelische Abendzeitung schreibt, beschwerte sich bei einem Offizier, daß sie von den Soldaten nicht nach Nablus (Westbank) gelassen wurde, während Nicht-Journalisten, tatsächlich alle Israelis sich frei bewegen konnten. Die Antwort: „Soweit es mich angeht, gehören Sie in meinen Augen als Journalistin nicht zu dieser jüdisch-israelischen Nation.“ - Es gibt Autoaufkleber, auf denen steht: „Die Nation ist gegen die feindlichen Medien.“ Einige Journalisten erhielten Drohbriefe, andere werden von den Behörden boykottiert; es existiert eine offene und weitverbreitete Ablehnung der Auslandsberichterstattung über die Intifada in diesem Land.

Im Juli dieses Jahres griff eine Gruppe israelischer Zivilisten ein CNN-Fernsehteam in Jerusalem an und verprügelte mehrere Mitarbeiter. Die Filmausrüstung wurde zerstört. Jim Hollander von der Nachrichtenagentur 'Reuter‘ wurde mehrfach angegriffen, seine Kamera wiederholt von Siedlern und Soldaten zerschlagen. CBS mußte Wachen für ihr Büro in Tel Aviv einstellen, nachdem es Telefondrohungen gegeben hatte, weil Szenen brutalen Vorgehens von Soldaten gegen palästinensische Gefangene in der Nähe von Nablus ausgestrahlt worden waren. Steve Weizman von 'Reuter‘ wurde eines Nachts in der Nähe seiner Wohnung von mindestens zwei unbekannten Personen angegriffen, die sehr professionell zuschlugen und wieder verschwanden. Einige Wochen zuvor waren Weizman und drei anderen Kollegen von 'Reuter‘ und der 'Financial Times‘ vorübergehend die Presseausweise entzogen worden, weil sie unzensiert über die Aktivitäten zweier israelischer „Todesschwadronen“ in der Westbank berichtet hatten.

Auch außerhalb Israels gibt es erbitterte Kämpfe gegen Fernseh-Dokumentarfilme oder Features über die Intifada und ihre Unterdrückung durch die Besatzungsmacht. Eine rüde Kampagne einer jüdischen Organisation in den USA, die normalerweise für die israelischen Behörden eintritt, verhinderte im September in New York fast die Ausstrahlung des 90-Minuten Films Days of Rage: The Young Palestinians der PBS (Public Broadcasting System), den die amerikanische Journalistin Jo Franklin-Trout gedreht hatte. Der Film berichtet über das Leben der Palästinenser in den besetzten Gebieten während der Intifada und wurde von der amerikanischen pro-israelischen Lobby als „einseitige Propaganda“ verdammt. Es wurde sogar behauptet, der Film sei von einer arabisch-amerikanischen Stiftung mitfinanziert worden. Eine Untersuchung zeigte jedoch, daß diese Behauptungen reine Erfindung waren. Aber die intensive Protestkampagne einflußreicher zionistischer Organisationen zwang PBS schließlich, den Dokumentarfilm über die Intifada mit zwei pro-israelischen Propaganda-Filmen einzurahmen. Zusätzlich erreichte die Gruppe, daß PBS nach dem Dokumentarfilm und den beiden anderen Beiträgen eine 40minütige Podiumsdiskussion ausstrahlte, bei der vorwiegend pro-israelische Stimmen zu Wort kamen. Die gesamte Produktion wurde ferner umbenannt in Intifada: Die Palästinenser und Israel.

Kurze Zeit später protestierte die israelische Botschaft in Bonn heftig gegen die Ausstrahlung eines Fernsehdokumentarfilms in der Bundesrepublik, der über palästinensiche und israelische Kinder unter der Intifada berichtete. Die Nachkommen Abrahams von Gordian Troeller, der für das bundesdeutsche Fernsehen viele Dokumentarfilme über Kinder in aller Welt gedreht hatte, wurde von Israel offiziell als „antisemitisch“ abgestempelt. Troeller sagt aber, er habe dem Antisemitismus entgegenwirken, nicht ihn provozieren wollen:

„Israel ist ein Staat wie jeder andere, und daher sollte man auch einige Kritik an der Politik der israelischen Regierung äußern können, wenn sie Menschenrechte verletzt. Als wir den Film machten, standen wir auf dem Standpunkt, das Judentum dürfe nicht mit dem radikalen Zionismus verwechselt werden, und ebensowenig sollte der jüdische Staat mit dem jüdischen Volk identifiziert werden. Wenn das, was in den besetzten Gebieten geschieht, zu Handlungen 'der Juden‘ gemacht wird, und wenn die israelischen Propaganda -Bemühungen, die das jüdische Volk in aller Welt mit dem Staat Israel gleichsetzen wollen, Erfolg haben, dann stärkt das den Antisemitismus sicherlich mehr als die Parolen radikaler Rechtsgruppen.“

Kritische Juden des Selbsthasses bezichtigt

Die Schwierigkeit liegt darin, daß die israelischen Behörden und ihre Interessenvertretungen im Ausland versuchen, durch Kampagnen und Anklagen zu behaupten, Kritik an israelischer Politik sei Antisemitismus. Sie versuchen damit, die objektive Berichterstattung über den palästinensischen Aufstand und die israelischen Unterdrückungsmethoden zu entmutigen, einzuschüchtern und wenn möglich völlig zum Schweigen zu bringen. Mit Erpressung lassen sich zweifellos einige Medien manipulieren, und sie macht Berichterstattung aus Israel schwieriger und riskanter. Der US-Amerikaner Hal Wyner, Korrespondent für deutsche und Schweizer Zeitungen in Israel, schreibt in einem Artikel, der am 8. Oktober 1989 in der 'New York Times‘ („Israelische Brutalität und Pressefeigheit“) erschien, über die Probleme der Berichterstattung aus Israel: „Für Journalisten, die Zeuge der brutalen Ereignisse in den besetzten Gebieten werden, stehen die Fakten kaum in Zweifel; das Problem besteht darin, wie über sie zu berichten ist. Für die offenen Antisemiten unter den Auslandskorrespondenten ist das natürlich ein Festtag. Aber für die ernsthaften Korrespondenten ist die Situation komplizierter. Es ist klar, daß in bezug auf Israels Bild in der Welt jede objektive Beschreibung dessen, was vorgeht, überaus schädlich ist. Und es ist auch keine Überraschung, daß die Juden in aller Welt sehr stark auf die Berichte reagieren. Deshalb bemühen sich selbst die kompromißlosesten Journalisten im allgemeinen, ihre Artikel nicht zu überspitzen. So schwierig es zu verstehen sein mag: Die meisten Berichte über die Intifada, die in den westlichen Medien erscheinen, sind nicht durch Übertreibung, sondern durch Understatement gekennzeichnet. Trotzdem mußten sich viele nichtjüdische Korrespondenten mit der Beschuldigung des Antisemitismus auseinandersetzen, während jüdische Journalisten (ich eingeschlossen) des 'Selbsthasses‘ bezichtigt werden. Ich habe festgestellt, daß weder die von mir wiedergegebenen Fakten noch meine Bewertungen jemals ernsthaft bestritten wurden. Am häufigsten kommt die Beschwerde, oft weit weniger höflich: 'Sie wissen nicht, welchen Schaden Sie anrichten. Sie liefern den Antisemiten Munition.

„Da der Antisemitismus seine Wurzeln nicht in der Wahrheit, sondern in Verzerrungen der Wahrheit hat, kann ich nicht erkennen, wie ich dem jüdischen Volk nutzen kann, wenn ich die Wahrheit verberge oder verzerre, sobald es um Israel geht“, schreibt Wyner weiter, „ich bin nicht bereit, meine eigenen Werte als Konzession an Antisemiten zu opfern. Es ist keine Frage des Selbsthasses, sondern der Selbstachtung. Als Korrespondent, jüdisch oder nicht, scheint mir kaum eine Wahl zu bleiben, als die Situation so zu beschreiben, wie sie ist. Daß diese und schlimmere Dinge überall in der Welt getan wurden und werden, ist kaum eine Rechtfertigung, sie hier zu ignorieren. Für mich persönlich, als Juden, ist all dies schlimm genug. Noch schlimmer ist jedoch, daß die israelische Regierung, die fast nichts tut, um diese Situation zu beheben, behauptet, sie handle im Namen des jüdischen Volkes. Wie Juden in der Diaspora damit zu Rande kommen wollen, muß jede oder jeder einzelne von ihnen für sich selbst entscheiden. Aber entscheiden müssen sie sich; sie können sich nicht auf Unwissenheit berufen.“

Die Pressefeigheit findet zahlreiche Erscheinungsformen. Die Angst vor der Reaktion offizieller israelischer oder lokaler zionistischer Institutionen oder die, „Antisemiten in die Hände zu spielen“, mag Redakteure oder Verlagsleitungen dazu bringen, die Intifada zu ignorieren. Oder es wird argumentiert, es gebe wichtigere Nachrichten aus anderen Orten, oder der Aufstand in den besetzten Gebieten dauere jetzt schon fast zwei Jahre und sei ein alter Hut. Aber für den Korrespondenten vor Ort ist es natürlich überaus frustrierend zu sehen, wie seine täglichen Berichte über nicht unbedeutende Dinge (wie er es sieht) zielgerichtet im Papierkorb landen.

Da die Intifada an vielen Orten nicht mehr auf der Tagesordnung der Presse steht, werden vier oder sechs erschossene Zivilisten und 40 Verletzte pro Tag oder Ausgangssperren für Hunderttausende in den Füchtlingslagern und besetzten Städten, Massenfestnahmen ohne Verfahren oder das Sprengen von Häusern in den Medien heute eher ignoriert; bestenfalls kommen sie in die Kurznachrichtenspalten und werden daher kaum mehr bemerkt. Artikel über die Intifada landen auf Halde - und da bleiben sie liegen. Gewissenhafte Korrespondenten werden es dennoch für ihre Pflicht halten, ihre Berichte zu schreiben, während ihr Unbehagen weiter zunimmt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen