: Bodenlos
■ Der Bekennerbrief der RAF
Sie fordern die Diskussion mit allen, „die Schluß machen wollen mit der imperialistischen Zerstörung“, und am Anfang steht, quasi als Eröffnungsbeitrag, ein Mord. Der „Bekennerbrief“ der sich RAF nennenden Gruppe, die am 30. 11. den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, in die Luft sprengte, ist der krampfhafte Versuch eines erschwindelten Neuanfangs, der sich auszeichnet durch uneinholbaren Realitätsverlust. Was ist das Charakteristische dieser nachgereichten schriftlichen Begründung?
An der Sprache dieses Textes fällt das Lakonische auf, diese Beiläufigkeit, mit der der Mord begründet wird. Der Ton ist so technokratisch wie die Ausführung der Tat - auch wenn ein Teil der Propagandasprache der RAF von einst fehlt. Wird der Mord überhaupt begründet? Untersucht man die Sprache genauer, die Methaphorik, verrät sie, daß eine tatsächliche Begründung fehlt. Wie bei dem Mord an Gerold von Braunmühl vor drei Jahren wird die Tat abgeleitet aus der allgemeinen Kapitalbewegung. Eine böse Welt als etwas Äußeres. Die Substantive der Beschreibung sind Leerformeln: Blutspur zweier Weltkriege, Ausbeutung, Symbol für Macht und Herrschaft, Imperialismus, Völkermord, Hunger, Erniedrigung, Existenzunsicherheit (!), umfassende Zerstörung, existenzielle Dimension, völlig veränderte internationale Situation. Dagegen setzt die RAF wiederum eine leere Formel, ihr vermeintliches Anliegen: eine an den Menschen orientierte gesellschaftliche Realität. Sie bauen sich als das menschliche Gegenüber der bösen Welt auf. Sie müssen die Welt dabei dämonisieren und werden selber zu Dämonen. Ihre Sprache verrät sie. Sie ist so kalt und leblos wie die Sprache der sogenannten Schreibtischmörder.
Es gibt eine inhaltliche Klammer in diesem Text: die RAF -Gefangenen. Das „Vernichtungsprojekt“ gegen sie müsse „endlich gestoppt werden“, heißt es am Ende, und man muß die Frage anhand dieses Textes tatsächlich stellen, ob nicht die Haftbedingungen, der Verlauf des Hungestreiks und die Zeit danach als einziger wirklicher Begründungszusammenhang für die Tat übrigbleiben, der Rest nichts weiter ist als das Nachbeten vergangener Parolen.
Als Bild für den Zustand der RAF kann auch das anonyme Eingangszitat gelten: „Die revolutionären Prozesse sind die Erfahrungen, die aus der Agonie zwischen Leben und Tod heraus, hin zu einem entschlossenen Kampf für das Leben geführt werden“. Agonie ist passiver Todeskampf, kein Kampf zwischen Leben und Tod. Es sollte klar sein: Aus einem Zustand der Agonie - und den sehen wir bei der RAF, ihrem Denken, ihrer Sprache und ihren Taten - heraus kann kein Kampf für das Leben geführt werden, als revolutionäre Erfahrung schon gar nicht.
Max Thomas Mehr
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