: Im Jahre 1 nach der Revolution
■ In der DDR haben keine Wahlen stattgefunden / Statt dessen wurde ein „Demokrator“ berufen / Der (Alp-)Traum eines Ostberliner „Frauenzimmers“
„Ich glaube, in einer Gesellschaft, die wirklich auf Leistung und nur auf Leistung sieht, haben es Frauen automatisch leichter als bisher, insbesondere dann, wenn sie nicht durch sozialpolitische Maßnahmen vom Arbeitsprozeß ferngehalten werden (Babyjahr...).“ (Aus einem Leserbrief in der DDR-Tageszeitung 'Neue Zeit‘ vom 13. Januar 1990)
Der 6.Mai ist vorbei. Die Wahlen haben nicht stattgefunden. Nachdem sich auch noch die SED-PDS dem Wahlbündnis der Opposition angeschlossen hatte, lag wiederum nur eine Einheitsliste vor. Die Blockparteien hatten in Selbstfindungskursen bereits lange zuvor entdeckt, daß sie schon immer Opposition gewesen waren. Der runde Tisch befand daraufhin, die Wahlen seien nun überflüssig, und berief Herrn N. aufgrund eines bedeutenden Leserbriefes in der 'Neuen Zeit‘ zum Demokrator mit unbeschränkten demokratorischen Vollmachten.
Das erste Demokret, das Herr N. erließ, versetzte das Volk noch in Verwunderung: „Die Tätigkeit von Klofrauen in Herrentoiletten ist wegen ungerechtfertigter Privilegien in Gestalt überhöhter Trinkgeldeinnahmen sofort einzustellen.“ Als einige Toilettenpächterinnen vor dem Palast der Republik hiergegen protestierten, rief man ihnen zu: „Geht doch nach drüben!“
Der zweite Erlaß jedoch fand schon verbreitete Zustimmung: „Demokret zur demokratischen Erneuerung der Sprache“. - Das bibliographische Institut Leipzig erhielt den Auftrag, umgehend einen neuen Duden herauszugeben. Unklare Begriffe seien darin mit Definitionen zu versehen und mit Verweisen auf die neu eingeführten, treffenderen Worte. Beispiel: „Frau, marxistische Fehlbewertung des weiblichen Geschlechts, nur noch zugelassen in Zusammensetzungen wie Frauenschaften, Frauenzimmer; siehe auch Weibersleute.“ Das Wort „Mann“ wurde ebenfalls gestrichen und durch den Begriff „Bürger“ ersetzt.
Das dritte Demokret betraf die öffentlichen Verkehrsmittel. Im vorderen Bereich der Straßenbahnen und Busse wurden einfache Polstersessel aufgestellt. Hier hieß es: „Nur für Bürger!“ - Der hintere Teil, mit sehr bequemen Haltestangen ausgestattet, war den Weibersleuten zugewiesen. Entsprechende Erlasse gab es auch für die öffentlichen Bäder. Die den Bürgern vorbehaltenen Teile der Bäder wurden durch hohe Bretterzäune geschützt. Die Depos (Angehörige der Demokratischen Polizei) erhielten strenge Weisung, hart gegen die Frauenzimmer vorzugehen, die durch Gucklöcher nach den Bürgern schielten.
Im vierten Demokret verbot der Demokrator den Frauensleuten die Bildung von politischen Vereinen. Die Mitgliedschaft in Bürgerbewegungen, bürgerlichen Parteien, Bürgerinitiativen und Bürgerkomitees verbot sich ja schon vom Namen her. Doch es wurde den Parteien empfohlen, ihre bisherigen Anhängerinnen in Frauenschaften zu organisieren. - Für die CDU war dies am leichtesten, da sie schon eine Frauenunion hatte. Auch für die SPD war es noch einfach, die Sozialdemokratinnen zu sammeln. Aber der Versuch des DA, Demokratie-Aufbrecherinnen zusammenzuschließen, wurde als zu provozierend empfunden und deshalb durch eine Novellierung des vierten Demokrets untersagt. Mit Eifer begannen die in den Frauenschaften erfaßten Frauenzimmer allenthalben Parteifahnen und Vereinswappen zu besticken, Kaffee zu kochen und Kekse zu backen, um so ihrer Verpflichtung gegenüber dem Ganzen gerecht zu werden.
Der fünfte Erlaß war das „Demokret zur Aufhebung der Koedukation an den Schulen“. Endlich konnten neue Bildungseinrichtungen gegründet werden, die nur den weiblichen Kindern offenstanden. Ungehindert von ihren männlichen Altersgenossen und unbehelligt von Mathematik und Physik konnten sie hier ihre Begabungen entfalten und sich ganz konzentrieren auf Back- und Kochlehrgänge, Näh-, Strick -, Stick-, Häkel-, Wasch-, Babypflege- und Kosmetikkurse. Sie verloren das Interesse an den anstrengenden Beschäftigungen der Bürger. „Im gleichen Demokret wurden das bezahlte Babyjahr, die Kinderkrippen und die Kindergärten abgeschafft. Den Frauenzimmern sollte es jedoch auch weiter gestattet sein, „zusammen mit ihren Kindlein die Kirche zu besuchen und in den Frauenschaften ihren Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwesen und der Obrigkeit nachzukommen.“
Als nun alle Frauenzimmer, im Gehorsam geübt und darin unüberbietbar, zu Hause blieben und keine mehr zur Arbeit erschien, um in den Büros Kaffee für die Bürger zu kochen und in den Kantinen zu bedienen, erhob sich der Volkszorn gegen den Demokrator. Die Bürger gingen zu Massendemokrationen auf die Straße und riefen: „Wir sind das Volk!“ Und: „Weiber in die Produktion!“ Der Demokrator berief daraufhin zum erstenmal seit langer Zeit wieder den runden Tisch ein, und der befand, daß die auf den Demokrationen erhobenen Forderungen der Bürger berechtigt seien. Gleichzeitig sollte das schon erlassene sechste Demokret nicht infrage gestellt werden. So entwarf der runde Tisch einen Entwurf für ein siebentes Demokret über die Einrichtung von Frauenarbeitssiedlungen. Durch die Errichtung solcher Siedlungen könnten sich, so hieß es, ungeahnte Möglichkeiten ergeben. Alle Weibersleute könnten mit ihren Kindern zusammenwohnen und sich gegenseitig bei der Erziehung der Kinder helfen. Sie könnten zusammen in den Waschhäusern die Wäsche der Bürger waschen, in Bäckereien die Brote backen, in den Schneidereien die Anzüge nähen. Und immer könnten sie ihre Kinder um sich herum versammeln und diese so schon ganz früh mit der süßen Pflicht produktiver Arbeit vertraut machen. Junge Frauenzimmer ohne Erziehungspflichten könnten als Pflichtjahrmädchen ausgeborgt werden, um in den Büros Kaffee zu kochen und Blumen zu gießen, um die Böden zu reinigen und das Essen zu servieren, um zu singen, vielleicht auch zu tanzen...
Ausgerechnet als mein Traum versprach, pikant zu werden, erwachte ich. Es war Sonnabend, der 13.Januar 1990. Offenbar war ich über der Lektüre der Leserbriefseite der 'Neuen Zeit‘ eingeschlafen.
Renate Bieritz-Harder
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