: Bedingungslose Kapitulation
■ Was wird aus Deutschlandfunk, Deutscher Welle, Radio Berlin International und dem Deutschlandsender?
Zwei Länder - vier Sender: Noch gibt es in der BRD und in der DDR je zwei Sender für den Auslandsrundfunk. Hüben Deutsche Welle (DW) und Deutschlandfunk (DLF), drüben Radio Berlin International (RBI) und Deutschlandsender, die ehemalige „Stimme der DDR“. In einem Gesamtdeutschland wird nicht mehr für alle Platz sein. Geht es nach dem Willen der bundesdeutschen Seite und den Befürchtungen ihrer DDR -Kollegen, so bleiben nach einiger Zeit die DDR-Sender auf der Strecke. Was nicht etwa heißen soll, daß sich DW und DLF einig sind, obgleich ihre Intendanten Dieter Weirich und Edmund Gruber nicht nur Duz-, sondern auch noch Parteifreunde (CDU) sind und ihre jeweiligen Kontrollgremien überwiegend aus Mitgliedern der Regierungsparteien und Vertriebenenfunktionären wie Herbert Hupka und Herbert Czaja zusammensetzen.
Die Fronten verlaufen bizarr: Für Deutschlandfunker Gruber und RBI-Intendant Klaus Fischer geht es ums Überleben ihrer Sender. Zumindest Fischer, ehemaliger SED-Genosse mit nun starken Sympathien für die Sozialdemokratie, wird dabei wohl auf der Strecke bleiben. Der Journalist, der im Leipzig der fünfziger Jahre bei Hans Mayer und Ernst Bloch studierte, pfeift noch im Walde: „Von der Deutschen Welle gibt es das Angebot fairer, partnerschaftlicher Zusammenarbeit.“ Für die Journalisten des DDR-Senders, die in elf Sprachen täglich über 72 Programmstunden produzieren, sind zwar „einige Bremsen gelockert“, aber schon hat die alte Schere Kopf der neuen Platz gemacht. Das fiktive Angebot einer Reportage über das Verhalten westdeutscher Hotelkonzerne in Leipzig jedenfalls würde Fischer als nicht zweckmäßig ablehnen. In der Angst um den Arbeitsplatz übt man sich schon heute in vorauseilendem Gehorsam.
In Köln, bei Deutscher Welle und Deutschlandfunk, will man jedenfalls von Partnerschaft nichts wissen. Die Frage, ob nicht die Kollegen in der DDR interessante journalistische Formen entwickelt hätten, die auch gut in ein gesamtdeutsches Auslandsprogramm hineinpassen würden, sieht Edmund Gruber eher als Zumutung: „Wir wollen die Schlacht, die am 9. November 1989 in der DDR für uns entschieden wurde, nicht mit anderen Mitteln fortsetzen.“ Auch sein Kollege Weirich möchte sich keine DDR-Kollegen in den Pelz setzen. Und über die veralteten Sendeanlagen am traditionsreichen Sendestandort Königs-Wusterhausen kommen ähnlich vernichtende Urteile.
Wenn auch die beiden westdeutschen Anstalten diese Schlacht - weitgehend kampflos übrigens - gewonnen haben, so steht vor allem Gruber noch die Auseinandersetzung über die Existenzberechtigung seines „Wiedervereinigungssenders“ (Konrad Adenauer) bevor. Für Adenauer sollte der Bundessender DLF „bei dem Prozeß der Wiedervereinigung die hervorragendste Rolle spielen und das wertvollste Instrument zur Beeinflussung der Ostzonenbevölkerung“ sein. Nun, da es sich ausgezont hat, sucht Gruber sein Heil legalistisch: „Das Bundesrundfunkgesetz definiert unsere Aufgabe unverändert auch weiterhin - ein umfassendes Bild von Deutschland für Deutschland und Europa zu bieten.“ Das sei keine Einbahnstraße, und im Vorfeld des 9. November 1989 hätte der DLF die meisten Interviews aus der DDR in die Bundesrepublik geholt. Mit Riesenschritten möchte Gruber, gegen den sich schon einmal ein rundes Viertel seiner MitarbeiterInnen in aller Öffentlichkeit wendet, ein Europaprogramm verwirklichen. Auch wenn er das Wort „Elitesender“ nicht gerne hört, so genügte es ihm doch, „die Multiplikatoren, die Kommunikatoren in Deutschland und Europa“ zu erreichen - etwa zehn Prozent der Bölkerung. Tatsächlich aber schalten laut einer Medienanalyse von 1989 rund ein Prozent der Bundesbürger den Deutschlandfunk ein. Jeder dritte Hörer ist älter als 70 Jahre.
Als „alter BBC-Hörer“ hat Gruber einen vom angelsächsischen Journalismus geprägten Informationssender vor Augen und sieht sich als „sozusagen staatsunabhängig“. Aber: „Daß da politischer Druck hier und dort existiert und daß jeder Sender in die jeweilige Landschaft eingebunden ist, ist ganz klar.“
Wenn auch Gruber und Weirich in der gleichen politischen Landschaft ihre Heimat haben, so trennt sie doch ihr durchaus ähnlicher Auftrag. Auch die Deutsche Welle nämlich gibt ein Gutteil ihres 330 Millionen-DM-Haushalts für Sendungen nach Europa aus. Sieht Gruber seinen Auftrag noch expansiv („Vom Atlantik bis zum Ural, darüber hinaus beginnt das ... Ausland“), so entfällt für DW-Chef Weirich in Zukunft der „zentrale Auftrag“ der Schwester-Anstalt am Kölner Raderberggürtel. Wenn seine DLF-Kollegen nicht ohnehin in der Deutsche Welle aufgehen, so wäre es für ihn „zwingende Logik“, daß dieser „als eine Art gesamtdeutscher Informationssender eine Anstalt der Bundesländer“ wird.
Für die Deutsche Welle sind zwei Auslandsdienste eines Landes weltweit einmaliger Luxus. Und man habe es als „medienpolitischer Underdog“ (Weirich) ohnehin schwer genug, weitere Mittel aus Bonn loszueisen. Mehr Geld aber brauchen die Weltfunker, um in der Konkurrenz gegenüber sprunghaft wachsenden Kapazitäten der „Voice of America“, BBC oder auch von „Radio Moskau“ zu bestehen. Die „Welle“ setzt dabei nicht nur auf ein noch dichter zu knüpfendes Netz von Relaisfunkstellen vor Ort, sondern auch auf Fernsehen. In diese Überlegungen eines weltweiten Satellitenfernseh -Dienstes soll RIAS-TV miteinbezogen werden. Weirich wird versuchen, noch vor der Sommerpause in Bonn seine „Mehr -Optionen-Strategie“ zu verkaufen, die - je nach Zielgebiet
-Satellitenfunk, Kabelfernsehen- und Rundfunk sowie Kurz und Mittelwellenrundfunk kombiniert. Die Kurzwelle sei noch nicht passe, sie erlebe gerade ihren zweiten Frühling: „Es werden bis Ende dieses Jahrzehnts etwa 900 Millionen Kurzwellenempfänger verkauft werden.“
Wenn bei aller Technik noch nicht vom Programm die Rede war, so hat das seinen Grund. Die „Welle„-Journalisten sind frustriert von mangelndem, innenpolitischen Feedback und machen ein überwiegend wenig aktuelles und verschnarchtes Beamtenprogramm für die ältere Generation. Weirich drückt das etwas feiner aus, wenn er einen „Zuwachs an kreativem Journalismus“ verlangt und eine Klausurtagung zu diesen Fragen ansetzt. Allerdings sind ihm durch die starren Strukturen seines Hauses die Hände gebunden, Stunden -Abreißer und Agenturen-Absahner selbst auf Abteilungsleiter -Ebene durch motivierte Journalisten überholen zu lassen.
Wie das Fingerhakeln der Auslandssender letztlich ausgehen wird, ist noch ungewiß. Sicher ist nur, daß keiner die Kollegen aus der DDR haben möchte. „Ich trage dafür keine Verantwortung“, sagt Gruber, um sie dann im Konjunktiv mehr aus- als einzuklagen: „Wir haben allerdings in Ost-Berlin auch Leute kennengelernt, die auf ihrem Gebiet exzellente Arbeit leisten und die sich hier bewerben könnten.“ Für Weirich steht eine ernsthafte Zusammenarbeit mit der DDR so außer Diskussion, daß er sie nur bei abgeschaltetem Tonbandgerät in das Reich der Illusionen verweist. Ebenfalls „off the record“ ist Klaus Fischer aus Ost-Berlin ganz Realist und fürchtet um den Bestand seines Hauses. Seine Vorstellung von einem „dritten Weg“, den er zusammen mit ebenfalls kleineren Auslandssendern wie zum Beispiel Radio Nederland Wereldomroep aus Hilversum beschreiten möchte, wird er wohl kaum umsetzen können. So gesehen enthält selbst dieser kleine Ausschnitt der deutsch-deutschen Medienpolitik wie das Bruchstück eines Hologramms in sich das komplette Bild der Wiedervereinigung als bedingungsloser Kapitulation.
Nils Schiffhauer
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