: Appeasement 1938 - 1990?
■ Betr.: Diskussion über den Golfkrieg, Haltung der Linken dazu, speziell Vergleich Hitler - Saddam Hussein im Zusammenhang mit einer Appeasementpolitik
betr.: Diskussionen über den Golfkrieg, Haltung der Linken dazu, speziell Vergleich Hitler — Saddam Hussein im Zusammenhang mit einer Appeasementpolitik
Der Vergleich zwischen Hitler und Saddam Hussein als Persönlichkeiten mag eventuell noch zulässig sein und in Bezug auf deren neurotische Persönlichkeitsstruktur vielleicht auch Parallelen an den Tag bringen, er ist aber meines Erachtens historisch unwesentlich und kann getrost den Psychologen überlassen werden. Wir sollten aber einmal die Staaten miteinander vergleichen, denen diese beiden Herren jeweils als „Führer“ voranstanden bzw. -stehen. Während das „Deutsche Reich“ von 1938 ein 60-Millionen-Volk war, handelt es sich beim Irak um einen Staat mit knapp einem Drittel dieser Bevölkerung. Sehr viel entscheidender aber ist, daß das „Deutsche Reich“ vor dem Zweiten Weltkrieg in Bezug auf Wissenschaft und Technik ein hochentwickeltes Land war, das bezüglich vieler wichtiger Technologiebereiche nicht nur autark, sondern sogar innovationsfähig war [...]. Das heißt, ein Embargo gegen Nazi-Deutschland konnte kaum greifen, da es nicht auf Technik- und Technologieimport angewiesen war. Ganz anders die Situation im Irak. Durch ungehemmte Aufrüstung seitens der Industriestaaten aus Ost und West hat der Irak zwar eine hochtechnisierte Armee, ist aber nach wie vor auf Technologieimport angewiesen, um den jetzigen Standard auch nur zu halten. Das heißt wiederum, ein Embargo hätte mittelfristig gute Chancen gehabt, das Zerstörungspotential der irakischen Armee zu mindern, wenn der politische Wille in allen Industrienationen vorhanden gewesen wäre, die Verbreitung von waffenrelevanter Technologie zu verhindern. Das Entscheidende aber ist, daß zum Beispiel in der BRD dieser politische Wille nach wie vor nicht vorhanden ist. Das wiederum heißt, daß nach der Eliminierung von Saddam Hussein und eines Teils des irakischen Volkes schon der nächste Despot bereitsteht, dessen Rolle zu übernehmen, ob nun mit Namen Gadhaffi, Assad oder Özal. Auch die Existenz Israels wird also auf die Dauer nur dadurch gesichert, daß keine Waffen mehr in die gesamte Region geliefert werden, die Chancen dafür, entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, wären durch die Ost-West-Annäherung günstig wie nie zuvor.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß das Argument auch vieler Linker, Embargopolitik gegen Saddam Hussein — nein, denn Appeasement ist schon 1938 schiefgegangen und läuft der Existenz Israels zuwider, einer genaueren Analyse nicht standhält.
Beachten sollte mensch aber die heuchlerische Betroffenheit deutscher Politik über die bösen Machenschaften der Waffenindustrie und ihre nach wie vor nicht vorhandene Bereitschaft, in diesem Bereich konsequent durchzugreifen, wie es zum Beispiel in Zeiten des Kalten Krieges zwischen Ost und West selbstverständlich war. Wolfgang Eisenberg, Clenze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen