: Kein Problem mit der Transzendenz
■ Fotografien von Duane Michals in der Galerie Bodo Niemann und im Amerikahaus
Eine Dame (und noch so einiges mehr) verschwindet in den schwarzweißen Fotosequenzen des Amerikaners Duane Michals, entstanden zwischen 1966 und 1982. Death comes to the old Lady in fünf Bildern: unbewegt sitzt sie vor dem Küchenschrank, während sich ihr von hinten ein dürrer alter Mann im schwarzen Anzug nähert, dessen Bild durch seine Bewegung verwischt ist. Er berührt sie an der Schulter und auffahrend (in den Himmel?) verliert ihre Gestalt alle Festigkeit und verflüchtigt sich.
In sechs Bildern erfolgt in der Bildergeschichte The human condition die Umwandlung eines Wartenden am U-Bahn-Steig in einen Sternennebel im All. Vier Seinszustände offenbart Michals in The True Identity of Man: Der feste und lichtundurchlässige Körper des in einer Zimmerecke sitzenden nackten Langhaarigen gilt als »Man as animal«, durch den transparenten »Man as spirit« scheint die Tapete durch, der »Man as energy« schießt raketengleich aus dem Bild und »Man as god« blendet wie eine Glühbirne. Manipulationen mit Doppelbelichtungen und Belichtungszeiten — mehr braucht Michals nicht, um das Überirdische im Hier und Jetzt geschehen zu lassen. Als allmächtiger Inszenator schachtelt er Welten ineinander, die als Bild im Bild zusammenschrumpfen. Am Ende erscheint der Fotograf selbst, aus dem Traum eines von ihm schlafend Porträtierten entsprungen.
Die Künstlerlegende sagt, daß Michals, der Malerei studiert hatte und als Grafiker arbeitete, 1958 als Tourist in Leningrad zu fotografieren begann. Den Zufallsbildern folgten bald Künstlerporträts: zu hellen Schemen verwischt das Gesicht des mit Michals befreundeten Andy Warhol; René Magritte erscheint zwar scharf, dafür aber durchsichtig mit Hut auf der Rückseite seiner Staffelei; über Marcel Duchamp, der hinter einem Fenster sitzt, legt sich die Spiegelung des Hauses gegenüber. Damit ist die Spur zum Surrealen gelegt. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe stellte eine Retrospektive seiner poetischen Fotoarbeiten von 1958 bis 1988 zusammen, die Bodo Niemann nach Berlin in seine Galerie und das Amerikahaus holte.
»Die Dinge unseres Lebens sind Schatten der Wirklichkeit, wie auch wir selbst Schatten sind.« Weil Michals Wirklichkeit nur als Licht und Schatten erfuhr, weil nur die Lichtreflektion den Dingen sichtbare Konturen verleiht, gab es für ihn keine Gründe mehr, Fotografie als Dokument der Wirklichkeit zu begreifen. Die Fotografie, die nur die Spuren des Lichteinfalls auf lichtempfindlichen Material festhält, inszeniert das Unsichtbare.
Michals ist nicht der erste Foto- Künstler, den die Auseinandersetzung mit der fotografischen Technik zum platonischen Glaubensbekenntnis veranlaßte. Die Reflektion im doppelten Sinne, ohne die es kein Bewußtsein gäbe, sondern nur die unbewußte Einheit der Dinge mit sich selbst, erzeugt zugleich den Zweifel in die Existenz und die Vorstellungen von Transzendenz. So alt wie das Medium Fotografie ist das Spiel mit den virtuellen Räumen, den Doppelgängern und Geistern. Doch Michals reagiert nicht nur mit einem schmerzhaften Abgleiten der Bilder, sondern auch mit Komik. Er bricht das Pathos der existentiellen Themen durch Stilformen der Naivität.
Das Leben formuliert er als Drama in fünf Bildern, in dem der Tod mit dem Aussehen eines seriösen Bestattungsunternehmers auftaucht. Seine Tricks erinnern an B-Picture-Effekte, an das Gewissen aus der Lenor-Werbung, an das Eingehen in den Mikrokosmos des shrinking man. Doch wo der Film mit Bewegung der Bilder und mit Musikeinsatz die Dramatik steigert, verblüfft Michals durch die Starrheit der Inszenierung. Nichts verändert sich in Gesicht und Haltung der alten Frau bei Annäherung des Todes. Unbewegt bleibt ein Paar sitzen, das Michals ins Paradies eingehen läßt: zwar verwandelt sich ihr Mobiliar in Urwald, zwar sind sie selbst von Bild zu Bild weniger bekleidet, aber trotzdem um nichts dem Zustand paradiesischer Unschuld nähergerückt. Seine Wunder haben das Gesicht von Hinz und Kunz, ereignen sich im Badezimmer und in der Küche. Jedem Amateur leuchtet ihre technische Machbarkeit ein. Beiläufigkeit ist ihre Stärke. Katrin Bettina Müller
Duane Michals. Retrospektive in zwei Teilen bis 15 Juni. Galerie Bodo Niemann, Knesebeckstraße 30 und im Amerikahaus, Hardenbergstraße.
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