Die neue Chefredaktion der taz: Weibliche Führung in der taz

Co-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann über linke Unhöflichkeit, Sprachpolitik und den Willen zur Gemeinsamkeit in der taz.

Ulrike Winkelmann Bild: Joern Neumann

Interview von JULIA BOEK

taz: Du bist ein echtes taz-Gewächs, hast bei der taz Hamburg volontiert, warst später in Berlin Redakteurin für Sozialpolitik und Parlamentskorrespondentin und hast bis 2014 das Inlandsressort geleitet. Mit welchem Gefühl kommst du zurück zur taz?

Ulrike Winkelmann: Mit großer Freude und tatsächlich mit dem Gefühl, nach Hause zu kommen. Es geht dabei um Kommunikationsweisen, um eine Vertrautheit beim Austausch, die ich lange vermisst habe. Was ich am schönsten bei Gesprächen mit taz-Kolleginnen und Kollegen finde, ist, dass die alle so klingen, wie ich gern spreche.

Und was macht diese Vertrautheit aus?

Ich finde, man merkt bei den tazlern und tazlerinnen sofort, dass sie im Prinzip alle das Gleiche wollen. Bei allem, worüber wir uns in der taz schon immer gestritten haben und streiten werden, gibt es eine gemeinsame Grundlage. Das sind taz-Wertvorstellungen – wie das Bekenntnis, die Welt zu einer besseren zu machen. Diese Ideale werden in einer Intensität gelebt, die mich immer wieder überrascht.

1971 in Wiesbaden geboren, kam 1999 zur taz und wechselte 2014 zum Deutschlandfunk. Seit Anfang August 2020 ist sie im Team mit Barbara Junge und Katrin Gottschalk Chefredakteurin der taz. Sie hat eine 13-jährige Tochter.

Was, glaubst du, hat sich im Haus geändert, seitdem du 2014 zum Deutschlandfunk gingst?

Die taz ist viel digitaler geworden. Es sind viele neue, jüngere Menschen da, die so viel von dem verstehen, wie Medien im Netz funktionieren. Etwas anderes ist, dass durch neue, jüngere Kolleginnen und Kollegen neue Ansprüche an Kommunikation und auch inhaltliche Ansprüche dazugekommen sind. Das wird gerade in dem Konflikt um die Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah („All cops are berufsunfähig“, Anm.d. Red.) ausgetragen. Ich glaube, dass sich in diesem Konflikt der Wunsch zeigt, Rassismus stärker als bisher durch Sprachpolitik zu bekämpfen. Die Idee dahinter ist: Wenn wir die Sprache umgestalten, verändern wir auch das Denken und das Zusammenleben der Menschen und sind dadurch weniger rassistisch. Ich glaube, dass der Konflikt über die Mittel der Sprachpolitik innerhalb der taz ausgetragen werden muss.

„Bei allem, worüber wir uns in der taz streiten, gibt es eine gemeinsame Grundlage“

Welche Position vertrittst du?

Ich denke, dass die Mittel der Sprachpolitik von vielen – gerade bei denen, die frisch von der Universität kommen – überschätzt werden. Ich frage mich auch, ob der Nutzen bei jedem Eingriff in die Sprache groß genug ist, dass wir in Kauf nehmen können, manche Menschen nicht mehr zu erreichen. Eben weil sie uns einfach nicht mehr verstehen.

Mit welchen Ideen trittst du deinen Job als Chefredakteurin an?

Nachdem ich in der taz lange Zeit als Sozialredakteurin an Gesundheits-, Renten- und Arbeitsmarktthemen gearbeitet habe, habe ich heute den Eindruck, dass diese Schwerpunkte in den letzten Jahren etwas vernachlässigt wurden. Jeder weiß, dass die Klima- und auch die Coronakrise die soziale Frage wieder verschärfen werden. Das bedeutet: Die Fragen der Umverteilung werden dringender. Wir haben wunderbare Sozialredakteurinnen in der taz. Barbara Dribbusch etwa hat eine Art, Sozialpolitik menschlich darzustellen, die wirklich unnachahmlich ist. Wir brauchen mehr davon.

Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben?

Als ich vor sechs Jahren von der taz wegging, rief ebendiese Barbara Dribbusch mir nach: „Du wirst sie alle niederlächeln.“ Darüber habe ich erst mal verlegen gelacht. Ich glaube aber, dass man mit unerschütterlicher Freundlichkeit eine Menge erreichen kann. Autoritäres Gebaren hilft nicht, wenn es um Sachfragen geht.

Und wie stehst du zur sprichwörtlichen linken Unhöflichkeit?

Die klassische linke Unhöflichkeit musste ich in der taz leider auch kennenlernen, und sie geht mir kolossal auf die Nerven. An meinem allerersten Tag in der taz in Berlin stieg ich die Treppe hoch und grüßte jeden, der mit entgegenkam – niemand erwiderte mein „Guten Morgen“. Aber die taz ist anders geworden: Insgesamt wird jetzt mehr Wert auf gute Laune, Freundlichkeit und Höflichkeit im Umgang gelegt. Das verhindert natürlich nicht, dass man sich in der Sache hart auseinandersetzt.

Im Vergleich zu anderen Verlagen bekleiden in der taz viele Frauen Leitungsfunktionen. Warum sind Frauen die besseren Chefinnen?

Weibliche Führung hat in der taz einfach Tradition, und insofern stellen wir drei – Katrin, Babs und ich – eine Fortführung des taz-Traditionsprodukts „weibliche Führung“ dar. Angesichts der herrschenden Geschlechterrollenverteilung kann es gut sein, dass Frauen andere Fähigkeiten mitbringen, die nötig sind, um bei der taz Chefin zu sein. Ich glaube, dass für die meisten Fragen im Leben gemischte Teams die beste Lösung sind. Aber es ist schon möglich, dass aktuell Frauen noch eher manche Talente und Mittel mitbringen, die es braucht.

Was braucht es denn?

Den Willen zur Gemeinsamkeit. Dass der oft fehlt, habe ich außerhalb der taz häufig beobachtet. Es geht darum, dass niemand versucht, Erfolge für sich zu vereinnahmen – und Misserfolge anderen unterzuschieben.

Die taz begreift sich mit ihren über 20.000 Genoss:innen als eine große Familie. Welche Botschaft möchtest du an sie senden?

Vieles, was in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurde, harrt jetzt der Umsetzung. Wir werden den Hebel umlegen müssen am Tag X, an dem sich der Vertrieb der gedruckten Zeitung nicht mehr lohnt. Diese Aufgabe, den guten, lebendigen, idealistischen Journalismus der taz in die digitale Zukunft mitzunehmen und ihn dort sogar noch zu verbessern, nehmen Barbara Junge und ich mit größter Leidenschaft und größter Zuversicht an. Unsere Leitvokabel könnte Zugewandtheit sein. Auch am Beispiel des Streits über die Kolumne merke ich, dass vertrauensbildende Maßnahmen nötig sind – also Herzlichkeit, Vertrauen und Zugewandtheit.