Die neue Chefredaktion: Dehnübungen der taz

„Zu viel Lärm“, „zu mainstreamig“ – über unsere Corona-Berichterstattung und die Debatte über Rassismus in der Polizei gingen die Meinungen zuletzt stark auseinander.

Die taz-Redaktionsspitze: Ulrike Winkelmann, Katrin Gottschalk und Barbara Junge (v.l.n.r.) Bild: Stefanie Loos

von Katrin Gottschalk, Barbara Junge und Ulrike Winkelmann

Dieses Jahr waren wir uns einmal in der Redaktion nahezu alle einig. Wir hielten die ersten Coronamaßnahmen der Regierung für richtig, ein Vermummungsgebot, also eine Maskenpflicht, haben wir mit als Erste gefordert. Und die sogenannten „Hygienedemos“ haben wir eher als „alles Käse“ kommentiert. Das hat einige von Ihnen, liebe Genoss*innen, sehr gestört.

 

• Die taz Chefredaktion in neuer Besetzung: Ulrike Winkelmann, Barbara Junge, Katrin Gottschalk

• Die neue Chefredakteurin Ulrike Winkelmann stellt sich vor

Podiumsdiskussion: „Zwischen Klimakrise und Rassismus – wie verändert sich unser Journalismus?“

Präsentation der Ergebnisse aus „12 Stunden taz live“

Plötzlich war die taz anders. Die Redaktion der taz war sich so überraschend einig. Einig darin, dass die politische Leitungsebene den Start der Krise ganz gut gesteuert hat, dass ein liberaler Lockdown nötig war. Aber: Wo blieb die Machtkritik? Manche fanden, wir würden zu mainstreamig klingen. Als Antwort darauf haben wir eine Entschwörungs-taz gemacht. Mit Ihnen. Auf Ihre Verve ist Verlass.

Die innerredaktionelle Einigkeit ist allerdings in der taz eher eine Ausnahme. Sichtbar wurde das Mitte Juni, nachdem die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von unserer Autor:in Hengameh Yaghoobifarah erschien. Die Kolumne selbst entwickelte sich beinahe zur Staatskrise. Bundesinnenminister Horst Seehofer kündigte eine Strafanzeige an, hinter den Kulissen wurde er zurückgepfiffen.

Was soll der Lärm?

Aber auch unter Kolleg:innen und Genoss:innen gab es Streit – aus verschiedensten Gründen. Für manche überschritt die Kolumne eine Grenze, für andere war die Grenzüberschreitung die fehlende sichtbare Solidarität mit der Autor:in. Wieder andere haben sich gefragt: Was soll der Lärm? Die taz ist schließlich vor über 40 Jahren mit Sympathien zur RAF gestartet.

Die taz heute ist eine andere als die taz von 1978. Sie ist raus aus der Nische. Das stellte im Juli auch der Vorstand der rechtskonservativen WerteUnion fest: „Mit knapp 50.000 Druckexemplaren spielt die Zeitung eine nicht unwesentliche Rolle in der Medienöffentlichkeit unserer Bundesrepublik.“ Und weil die taz so wichtig und so linksradikal ist, solle der Verfassungsschutz uns beobachten. Ein Kollege schrieb dazu im Intranet der taz: „Die Leute lesen eine andere Zeitung als die, für die ich arbeite, aber okay.“ So gehen die Meinungen auseinander. Wir dehnen uns.

Unser Anspruch ist es, sämtliche Meinungen im linken Spektrum abzubilden. So steht es auch in unserem publizistischen Konzept der taz im Netz, Sommer 2018. Die taz ist eine tägliche Dehnübung. Die Dehnung erzeugt Spannung, sie hält uns jung. Wir brauchen viele Perspektiven in einer vielschichtigen Zeit. Das betrifft nicht nur Corona, die Polizei oder antirassistische Strategien.

Drei Frauen bilden die neue Chefredaktion der taz: die Chefredakteurinnen Barbara Junge und Ulrike Winkelmann als Doppelspitze sowie Katrin Gottschalk als stellvertretende Chefredakteurin & Leiterin digitale Produktentwicklung. Georg Löwisch, bisher an der Spitze der Redaktion, hatte die taz im April verlassen.

Eine andere Genossenschaftsversammlung

Auch die soziale Frage wird sich in den nächsten Monaten immer drängender stellen. Was passiert mit den Klimazielen nach der coronabedingten Erholung? Wie könnte ein Umbau der Gesellschaft funktionieren, der sozial und ökologisch ist? Und: Wer wird Kanzler:in?

Die Genossenschaftsversammlung wird dieses Mal anders sein, notgedrungen weniger dialogisch. Für die wichtige Diskussion über diese Perspektiven haben wir dennoch eine Form gefunden, wie Sie im Programm sehen können. Weil Sie schließlich Teil der Debatte sind.

Die taz liegt in den Regierungsbüros, bei NGOs genauso aus wie in der Wohngemeinschaft. Das ergibt die Relevanz der taz. Leisten können wir uns diese Breite, weil wir von Genoss:innen, von Ihnen, getragen werden, die auf eine tägliche Dehnübung taz in der deutschen Presselandschaft nicht verzichten wollen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.