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Viel zu langes Vor-Spiel vor dem Spiel

■ Ostberliner Künstler haben Ideen und Räume, um Erwachsenen — zwecks Aggressionsabbaus — das Spielen beizubringen, allein die Nichtbewilligung der ABM-Anträge, die seit April in diversen Ämter-Schreibtischen schmoren, blockiert das Projekt

»Man muß dazu sagen, daß wir vom Kunstverständnis eines Joseph Beuys ausgehen«, bemerkt Günter Richter am Gesprächsende. Seine Frau Elisabeth lacht, und so lacht auch der Meister. Tief einsteigen, umfassend Kultur betreiben, lebendig leben — Begriffe, mit denen Richters umgehen, wenn sie von ihrer Arbeit reden. Weil sie den aufgezwungenen Wechsel von der höheren Kunst in die soziokulturellen Niederungen nicht als persönliche Niederlage begreifen. Eher wohl als Herausforderung und Chance.

Ihr Projekt heißt »Frei spielen — Konfliktbewältigung im spielerischen Umgang mit darstellender und bildender Kunst« und soll endlich im Oktober starten.

Die Leitung hat Günter Richter, 47, promovierter Mathe/Physik- Lehrer ohne Schulpraxis. Einst tauschte er den Doktorhut gegen die Narrenkappe und wurde Pantomime: »Vor eineinhalb Jahren, als klar wurde, daß das Deutsche Theater sein Pantomimenensemble abstößt, spielte ich mit dem Gedanken, Waldorf- Lehrer zu werden. Wir haben die erste Schule dieser Art in Ost-Berlin mit aufgebaut, unsere drei Kinder lernen bei Waldorfs... Aber ich entschied mich dann doch für eine Möglichkeit, meine über Jahre erworbenen künstlerischen Fähigkeiten einzubringen und Neues zu lernen.«

»Frei spielen« ist ein Projekt des psychosozialen Beratungs- und Ausbildungszentrums Festland e.V., mit Sitz im Pfefferberg an der Schönhauser Allee. »Frei spielen« bewegt sich jenseits von Therapie, ist vielmehr als Angebot gedacht an Menschen wie du und ich, psychisch nicht auffällig, wie es so schön heißt. Für uns mit unseren Ängsten, Aggressionen, dem Frust und ohne einen Ort dafür.

Der Ort könnte die Esmarchstraße 5 im Prenzlauer Berg sein, »Lottogewinn«, sagt Richter zu jenen 105 Quadratmetern. Der Mietvertrag mit der Wohnungsbaugesellschaft am Prenzlauer Berg (WIP) ist unterschriftsreif. Geld für die Miete fehlt: Seit April sind ABM für »Frei spielen« beantragt, wenn sie zum Oktober nicht bewilligt sind, werden die Räume wohl anderweitig vergeben. Das wäre das Ende der Richterschen Idee, die moralische Unterstützung in Form von herzlichen Schreiben findet beim Kultur- und Sozialamt Prenzlauer Berg.

Etwas Geld ist auch schon da; 20.000 DM aus dem Kulturfonds, das sind etwa ein Viertel der benötigten Mittel für Umbau und sanitäre Ausstattung. Diverse Anträge sind gestellt, potentielle Sponsoren mit freundlichen Aufforderungen beschickt worden.

Die Situation von »Frei spielen« ist typisch für die Projektlandschaft in Ost-Berlin. Kulturamt, Arbeitsamt, Senat schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Da verschwindet schon mal eine Akte in den tiefsten Tiefen der Arbeitsvermittlung und taucht erst nach persönlicher Belagerung und tätiger Mitsuche wieder auf: »Derjenige, der die ABM beantragt, wird beschimpft, daß er nicht abwartet, sondern nach fünf Monaten immer noch drängelt. Der Elan verpufft gleich am Anfang«, berichtet Günter Richter.

Dazu kommt die neuerliche Verschlechterung der Situation: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen dürfen nur noch für ein Jahr bewilligt werden, die Sachkostenzulage wurde drastisch gesenkt, zehn Prozent vom Gehalt soll künftig der Träger zahlen — ein Fall fürs Arbeitsgericht, aber auch dort herrscht Antragsstau ...

Noch hoffen alle »Freispieler« — neben Günter und Elisabeth Richter ein Berufsschullehrer und zwei Frauen, die bisher mit Kindern gearbeitet haben — auf einen guten Ausgang der Geschichte. Dann könnte im Herbst sowohl der Umbau der Räume beginnen als auch konzeptionell gearbeitet werden. Damit im Januar vier Kurse beginnen können: »Frei spielen« für Eltern und Erzieher, »Spielen gegen die Angst« für Schulkinder, »Auf der Suche nach dem eigenen Weg« für Jugendliche und »Lebenswege« für Senioren. Die Kurse dauern in der Regel zwölf Wochen, ausgenommen der für die Senioren. Da kann man nicht einfach Schluß machen, meint der Projektleiter.

In der Richterschen Vorstellung wird einmal rund um die Uhr in der Esmarch5 gespielt, gemalt, gelesen, gedichtet, sicherlich auch generationsübergreifend. Vorträge werden offen sein für alle, die Themen zwischen Beuys und Erziehungsansichten und -ansätzen liegen.

Bei allem, was passieren soll betont Günter Richter den künstlerischen Anspruch. »Wir sind kein Familienzentrum, wo man hingeht oder nicht. Wir wollen qualifiziert miteinander arbeiten, was uns umtreibt künstlerisch umsetzen.« Richter nutzt Methoden des Psychodramas nach Moreno und weiß, daß er damit voll im Trend liegt. Er nutzt die spielerischen Aspekte, nicht die Begriffe und Wörter, die in der Therapie oftmals mehr verhindern als aufbrechen.

In seiner jahrelangen Arbeit für die Kirche hat er erfahren, daß Erwachsene sich gestisch äußern können und wollen. Blinde Kuh funktioniert nicht nur in der angeheiterten Geburtstagsrunde: Sich nicht orientieren zu können im Raum entspricht der aktuellen Ost-Erfahrung. In den Kursen wird es konfliktbezogen zugehen, etwa im Rollenspiel, und körperbezogen; atmen, schreien und nach selbsterfundenen Rhythmen sich bewegen stehen auf dem Plan ebenso wie die Frage »Wie geht's?«

Zum Kursabschluß geht's an die Öffentlichkeit mit Spielszenen, Bildern, eigenen Texten. »Hier wohnen so viele alte Frauen, die kann man auffordern zu erzählen, die wollen nicht nur zum Kaffee zusammensitzen und schunkeln. Oder dieser Mann, bestimmt schon 80, der Tag für Tag in seiner blauen Eisenbahneruniform die Straßen abläuft. Wenn der Lust hätte mitzumachen...«, überlegt Günter Richter. Und Elisabeth, die 36jährige Schauspielerin, ergänzt: »Neulich im Gespräch mit Bekannten hab' ich richtig sauer reagiert, als die meinten, wir würfen Perlen vor die Säue. Wer sind denn diese Säue? Menschen, die sich nicht auch noch in der Freizeit vorschreiben lassen wollen, wie sie zu reagieren haben.«

Um selbst nicht auszubrennen bei »Frei spielen«, wird Günter Richter im umgestalteten DT-Pantomimenensemble, das jetzt DAT (Das Andere Theater) heißt, wirken und seine Lehrtätigkeit an der Schauspielschule fortsetzen. Seine Frau hofft auf Einsätze am Deutschen Theater und im Synchron. Laura Lorenz

Die bildende Künstlerin/der bildende Künstler, die/der Lust hat auf »Frei spielen«, meldet sich bitte bei Günter Richter, Tel. Ost 4366392.

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