: Streit über Jugoslawien-Politik
■ Lamers: Genscher will von „schizophrener Lage“ ablenken/ Genscher weißt Vorwürfe zurück
Bonn (dpa) – In ungewöhnlicher Schärfe streiten Politiker der Regierungskoalition über den richtigen Kurs gegenüber dem Bürgerkrieg in Jugoslawien. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Lamers, sagte der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‘, durch die Anrufung des UNO-Sicherheitsrates, dem Deutschland nicht angehöre, wolle Genscher von der eigenen „schizophrenen Lage“ ablenken. Das Verhalten des Ministers sei „absurd“. Der CDU-Abgeordnete und frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz bezeichnete den Vorstoß des Außenministers als unglaubhaft. Nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Heiner Geißler, müßten sich die Deutschen an einer europäischen Friedenstruppe in Jugoslawien beteiligen. Alles andere sei unglaubwürdig.
Genscher betonte demgegenüber, seine Entscheidungen seien in der Kabinettssitzung am vergangenen Donnerstag „ohne Vorbehalt“ unterstützt worden. Die Kritik daran sei „schwer verständlich“. Die Teilnahme von Bundeswehreinheiten an einem UNO-Einsatz in Jugoslawien habe er ebenso wie Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) ausgeschlossen: „Dies entspricht der verfassungsrechtlichen Lage und berücksichtigt auch die Geschichte.“ Bundeskanzler Helmut Kohl teile diese Auffassung.
„Ich empfehle allen, die Bundeswehreinheiten nach Jugoslawien entsenden wollen, vorher einen Blick in die Verfassung und das Geschichtsbuch zu tun“, sagte Genscher nach Angaben eines Sprechers. „Offensichtlich sind sich die Befürworter eines Einsatzes der Bundeswehr in Jugoslawien der geschichtlichen Belastung im deutsch-jugoslawischen Verhältnis ebensowenig bewußt wie der Haltung unserer Verbündeten zu dieser Frage.“ Auch in der jüngsten Entschließung des Bundestages zur Jugoslawien-Politik sei diese Forderung „aus guten Gründen“ nicht enthalten. SPD-Fraktionsvize Norbert Gansel sieht in den Vorschlägen der Unionspolitiker Forderungen „gegen die politische Vernunft und gegen das Grundgesetz“.
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