: Erich Honecker bald reisefertig?
■ Bewegung im „Fall Honecker“: Kohl erwartet baldige Überstellung/ Kanzler sprach mit Präsident Chiles
Rio de Janeiro (afp/dpa/ap) — Im „Fall Honecker“ rückt nun offenbar doch eine Entscheidung näher: Der chilenische Präsident Patricio Aylwin stimmt mit Bundeskanzler Helmut Kohl darin überein, daß der ehemalige DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker so schnell wie möglich vor ein deutsches Gericht gestellt werden muß. Dies teilte Kohl am Samstag vor seiner Abreise vom UN- Umweltgipfel in Rio de Janeiro mit. Aylwin und er hätten mehrere Möglichkeiten besprochen, wie dies zu bewerkstelligen sei.
Auf die Frage, was er mit dem Chilenen vereinbart habe, wich Kohl aus, indem er sagte: „Die Lösung ist für jedermann dann erkennbar, wenn das erstrebte Ziel Wirklichkeit wird.“ Der Kanzler wies den Vorwurf zurück, die Chilenen würden der Überstellung Honeckers nach Deutschland nicht freiwillig zustimmen: „Die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt die chilenische Regierung unter Druck gesetzt.“
Unterdessen hat Chile den Druck auf den seit Dezember in der Botschaft lebenden früheren DDR- Staats- und Parteichef verstärkt. Der Sonderbotschafter Santiagos, James Holger, sagte in einem Interview, Chile habe Honecker zwar keine Frist gesetzt, die Botschaft zu verlassen. Die Regierung in Santiago habe Honecker aber schon mehrmals nahegelegt, die Botschaft zu verlassen. Er hoffe, daß er „nicht selbst eingreifen“ müsse.
Der Anwalt des 79jährigen Honecker bekräftigte am Wochenende, daß sein Mandant „aus politischen Gründen“ nicht in die Bundesrepublik zurückkehren wolle. Verteidiger Friedrich Wolff sagte, Honecker wolle „nicht derjenige sein, der nach der Niederlage im Triumphzug vorgeführt wird, so wie es die alten Römer mit ihren besiegten Gegnern taten“. Wolff kritisierte erneut in scharfer Form die gegen Honecker wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer erhobene Anklage der Berliner Staatsanwaltschaft. „Die Anklage beruht auf dem Niveau des Kalten Krieges“, sagte der Verteidiger. Von der Staatsanwaltschaft werde so getan, als wäre die DDR ein völlig souveräner und freier Staat gewesen. Die Rolle der Sowjetunion werde nicht berücksichtigt.
In der Anklage wird Honecker gemeinsam mit Willi Stoph und Erich Mielke Totschlag in 49 Fällen vorgeworfen.
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