: Mörder in Uniform vor Gericht!
■ Jahresbericht von amnesty international beklagt Straffreiheit bei Folter und Mord durch Polizei und Armee/ ai-Aufgaben auf Menschenrechtsverstöße bewaffneter Oppositionsgruppen erweitert
Bonn/London (ap/taz) — Selbst wenn der neueste Jahresbericht von amnesty international (ai) nur als „Indikator“ für das Ausmaß und die Verbreitung von Menschenrechtsverletzungen in der Welt genommen werden kann — er zeichnet ein erschreckendes Bild. 142 Staaten haben im vergangenen Jahr gegen die international anerkannten Grundsätze verstoßen, wie sie in den Menschen- und Bürgerrechtspakten der Vereinten Nationen festgehalten sind und von der Mehrheit der Länder unterschrieben wurden.
Zwar habe das Thema Menschenrechte 1991 stärker als je zuvor eine Rolle in den internationalen Beziehungen gespielt, heißt es in dem gestern vorgestellten Bericht. Und auf der Ebene der UNO, der EG oder anderer zwischenstaatlicher Organisationen „geraten die Regierungen, die die Menschenrechte ihrer Bürger mit Füßen treten, zunehmend unter Rechtfertigungsdruck“.
Dennoch habe sich die Kluft zwischen Deklarationen und Realität nicht verringert. Folter und Mißhandlungen sind nicht nur in vielen Ländern der Dritten Welt an der Tagesordnung, sondern werden auch aus Jugoslawien, Griechenland, der Türkei und Nordirland gemeldet. Auch die Bundesrepublik wird wegen der Bedingungen in einzelnen Gefängnissen kritisiert.
Der Bericht verweist darauf, daß es in Nordirland keine ausreichenden Schutzmechanismen gegen Mißhandlungen durch britische Sicherheitskräfte gebe oder daß Ermittlungen in Spanien zur Aufklärung von Foltervorwürfen seit Jahren ohne Ergebnis geblieben seien. Die Organisation dokumentiert auch brutale Übergriffe aller Konfliktparteien gegen die Zivilbevölkerung im ehemaligen Jugoslawien. Dazu gehören Massaker in abgelegenen Dörfern, rechtswidrige Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen und Folterungen.
Dem 540seitigen Bericht zufolge werden in der Hälfte aller Staaten politische Gefangene festgehalten, ohne Gewalttaten begangen zu haben. Dazu zählt amnesty neben Kuba mit mehr als 300 politischen Häftlingen auch Frankreich oder die Schweiz, wo mehrere hundert Kriegsdienstverweigerer in Haft sind. In den Gefängnissen von mehr als 100 Staaten wird gefoltert oder mißhandelt. Amnesty nennt Beispiele unter anderem aus dem Sudan, Kuwait, Haiti, Rumänien, der Türkei und den israelisch besetzten Gebieten.
In 26 Ländern verschwinden „politisch unliebsame“ Bürger, ohne daß ihre Angehörigen unterrichtet werden. Hierzu gehören Peru und andere Staaten Lateinamerikas sowie Sri Lanka und die Philippinen.
Staatlicher Mord oder außergerichtliche Hinrichtungen wurden der Menschenrechtsorganisation aus 45 Ländern bekannt. Diese Praxis war dem Bericht zufolge vor allem in afrikanischen Staaten wie Tschad, Mali und Mauretanien zu finden.
In 50 Staaten werden Todesurteile verhängt und in 33 auch vollstreckt, die meisten in China und im Iran. In den USA warteten mehr als 2.500 Häftlinge in der Todeszelle auf ihre Hinrichtung. Amnesty weist darauf hin, daß die Zahl von 14 Hinrichtungen von 1991 allein in der ersten Hälfte dieses Jahres bereits deutlich übertroffen wurde.
Im Mittelpunkt des diesjährigen Katalogs von Menschenrechtsverstößen steht die Klage über die Straflosigkeit für Folterer und Mörder aus den Reihen von Polizei, Armee und paramilitärischen Verbänden. „Solange die Agenten der Repression Menschen entführen, foltern und ermorden können in der Gewißheit, daß ihre Untaten nicht aufgedeckt und sie strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wird es nicht gelingen, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen“, heißt es. Da die Justiz nur in den seltensten Fällen entschlossen gegen Verstöße vorgehe, werde „weiteren Vergehen Tür und Tor geöffnet“. Als Länder, die noch nicht einmal versuchten, „ihre Greueltaten zu bemänteln“, nennt amnesty den Irak, Birma und China.
In vielen Ländern, in denen repressive Regierungen abgetreten sind, haben sie kurz zuvor noch ein Amnestiegesetz für alle von ihnen zu verantwortenden Straftaten erlassen. Es dürfe nicht hingenommen werden, fordert die Organisation, daß solche Gesetze die Wahrheitsfindung vereiteln, selbst wenn es „in einem von Gewalt und Aufruhr gezeichneten Land im Interesse der Versöhnung angemessen erscheinen“ mag, „gegenüber schuldig gesprochenen Personen Gnade walten zu lassen und ihre Strafen auszusetzen.“
Bereits in früheren Jahren hatte die Organisation auch die Grausamkeiten von seiten oppositioneller Gruppen erwähnt, wie zum Beispiel von seiten der mosambikanischen RENAMO, der kolumbianischen „Nationalen Befreiungsarmee“ oder separatistischer Organisationen im indischen Punjab und Kashmir. Im Sommer 1991 erweiterte sie ihr Mandat auch offiziell auf die Menschenrechtsverletzungen bewaffneter nichtstaatlicher Gruppierungen. Als „gewaltlose politische Gefangene“ gelten darüber hinaus nun auch Personen, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Homosexualität eingekerkert wurden. li
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