INTERVIEW: Darf man Verkehrssenator Haase als »Mörder« bezeichnen?
■ Die ADFC-Vorsitzende Uta Wobit meint, daß Autofahrer Kinder vergasen/ Ein BUND-Mitglied setzte Tempo 50 mit den Mauer-Todesschüssen gleich
Berlin. Die Todesschüsse an der Mauer und die Erlaubnis, Tempo 50 fahren zu dürfen, seien das gleiche, sagte eine Vertreterin des BUND diese Woche. In beiden Fällen werde zum Mord aufgefordert, lautete ihr Fazit (siehe Bericht in unserer Dienstagausgabe). Über die Moral von Verkehrsgegnern sprach die taz mit Uta Wobit, Vorsitzende des Allgemeinen Fahrrad Clubs Deutschland (ADFC) und Mutter zweier Kinder.
taz: Darf man Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) als Mörder bezeichnen?
Uta Wobit: Nicht der Senator ist der Mörder. An ihm als gewählten Senator kann man aber die Stimmungslage der Bevölkerung ablesen. Wir müssen uns die Folgen des Autoverkehrs in seiner zunehmenden Brutalität vor Augen halten. In diesem Jahr sind bereits 21 Radfahrer getötet worden. Mit seiner Absicht, bei 37 Straßen, in denen jetzt nur Tempo 30 gefahren werden darf, wieder Tempo 50 zu erlauben, nimmt Herr Haase als Senator allerdings bewußt in Kauf, daß mehr Unfälle geschehen, mehr Kinder angefahren und tödlich verletzt werden.
Ist die Erlaubnis, mit dem Auto 50 »Sachen« fahren zu dürfen, eine Aufforderung, Kinder zu töten?
Nun sagt Haase nicht, Kinder seien zum Abschuß freigegeben. Er kennt aber die Folgen seiner Politik. Er verhält sich grob fahrlässig.
Auch Sie sind nicht sonderlich zimperlich, wenn Sie die Autogesellschaft kritisieren. Sie sagen, Autofahrer würden Ihre Kinder »vergasen«. Auch das hört sich nach Mord an. Auf Grund der deutschen Geschichte hat der Begriff »vergasen« darüber hinaus eine ganz besondere Qualität. Wollen Sie Autofahrer als Massenmörder stigmatisieren?
Wir wissen, daß mit Gas Menschen bewußt getötet wurden. Was wir aber nicht wissen wollen, daß wir mit dem Gas, was wir heute friedlich produzieren, auch letzten Endes Kinder vergasen. Nun fährt man nicht Auto, um Kinder zu vergasen — deshalb müßte man das Wort in Anführungszeichen setzen.
Vielleicht sollten Sie statt von Vergasung von Luftverschmutzung reden.
Nein, das lasse ich so stehen.
Auch derjenige, der Tempo 30 fordert, kann nicht ausschließen, daß ein Kind tödlich verletzt wird. Nach Ihrer eigenen Logik müßten Sie also auch eine potentielle Mörderin sein, weil Sie nicht Tempo null fordern. Umwelt- und Verkehrsinitiativen müßten Sie gar als Mörderbanden bezeichnen.
Tempo 30 ist nur eine Übergangslösung. Wir müssen uns vom Autoverkehr verabschieden. In einer Stadt darf das Auto als individuelles Verkehrsmittel keine Zukunft haben, Lieferwagen sollten nur zugelassen werden, wenn sie nicht schneller als 15 Kilometer in der Stunde fahren können.
Auch dann würden Sie in Kauf nehmen, daß Kinder totgefahren werden könnten. Sind Sie eine potentielle Mörderin?
Tja, das ist eine heikle Frage.
Das Interview führte Dirk Wildt
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