: Send mer au do? Von Michaela Schießl
Wissen Sie, was Bruddeln ist? Bruddeln, so sagt der Schwabe, ist die schwäbische Variante des bayerischen Grantelns. Nur ganz anders eben. Genaugenommen sieht Bruddeln nur so aus wie Granteln, um Fremde abzuschrecken. Denn die Eingeborenen können Bruddeln, diese liebliche, zärtliche Form der Zurückhaltung, von dem ungehobelten Benehmen der benachbarten Alpinisten säuberlich unterscheiden – was unbedingt notwendig ist für das schwäbische Sozialgefüge. Grantelt der Bayer, so will er allen Ernstes in Ruhe gelassen werden. Bruddelt der Schwabe, so will er unterhalten werden. Der Schwabe nämlich ist ein Kommunikationswunder. Nichts liebt er mehr, als die Stimmbänder vibrieren zu lassen in der Hoffnung, daß dieses Engagement weitere Sprechmöglichkeiten nach sich zieht. Deshalb hat sich der Volksstamm ein traditionelles System der gegenseitigen Ansprache zugelegt. Die Methode wirkt auf Außenstehende zunächst recht senil, doch entpuppt sich bald als ebenso schlicht wie genial: Man beobachte, was der potentiell Anzusprechende gerade tut, und wiederhole dies in Frageform. Ein Beispiel: Eine Frau läuft auf der Straße – Frage: „So, gange mer spaziera?“ Möglich auch: „So, gange mer eikaufa?“ Was soll sie sagen? Es dementieren? Sich erklären? Das Gegenteil beteuern? Völlig egal, denn sie wird sprechen, und alle sind zufrieden, das Ziel ist erreicht. Hat man das System erst einmal begriffen, so übt es schnell einen unwiderstehlichen Reiz aus. Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt, ein Sonntag auf dem Dorf rekordverdächtig: achtmal „So, dend mer rumlaufa?“, sechsmal „So, gange mer hoim“, unzählige Male „So, dend mer schaffe?“. Schwätzen ist eine Art Warmlaufen, so wie sich Hunde zunächst vorsichtig abschnüffeln, bevor sie zusammen spielen. Es ist, kurz, ein Ritual, das auch vor langjährigen Freundschaften nicht haltmacht. Treffen sich etwa zwei Freunde, die sich ein Jahr lang nicht gesehen haben, muß das Protokoll strengstens eingehalten werden. Es beginnt mit: Grüß dich, geht weiter über: Was gibt's Neues, nein, gar nichts, und bei dir? Alles beim alten, wie immer. Willst was trinken, komm, hock dich hin. Der existentielle Wortwechsel wird von minutenlangen Pausen unterbrochen. Pausen, die bei Ritualunkundigen Höllenqualen der Peinlichkeit auslösen und zu unkontrollierbaren Übersprungshandlungen [schwobe send halt koine stichlinge, gell, d. s-in] in Form von Kreuzworträtsellösen und sogar Ostereierbemalen führen. Die Gesprächspartner hingegen bleiben eigentümlich ruhig, schauen sich an, wie in Trance, und trinken. Später behaupten sie, diese Phase sei das Allerwichtigste. Später nämlich, nach ungefähr einer Stunde, tauen sie auf und erzählen sich alte Geschichten von uralten Bekannten. Erst wenn diese vertrauensbildende Maßnahme abgeschlossen ist, wird's wirklich persönlich: man spricht von sich, wie es geht, Ehekrisen, Berufswechsel, Schulden, Auto kaputt, der blöde Nachbarsbauer, der immer die stinkende Schweinegülle spritzt, das unmögliche Gästepaar, vor dem man in die Brennesseln flüchtet, der Hund hat sich erhängt, aber uns geht's gut, nichts Neues, alles wie immer eben, haja...
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