: Verschwiegene Geschichten
Blicke von Aborigines statt Blicken auf sie: „Aboriginality“ – Filme australischer Ureinwohner ■ Von Barbara Wilderotter
Ayer's Rock kennt jeder. Neben dem Sydney Opera House bekannteste Sehenswürdigkeit in Australien, gilt er als absolutes Muß für jeden Touristen. Beobachtet man die Menschenmassen, die ihn täglich besteigen, mit der Kamera und läßt den Film dann im Zeitraffer laufen, wird sichtbar, warum die Eingeborenen die Touristen „Minga“ (= kleine schwarze Ameisen) nennen. Überhaupt scheint Film das ideale Medium, um Nichteingeweihten die Vorstellungswelten der Aborigines zu vermitteln.
„Uluru“ heißt der Ayer's Rock in ihrer Sprache, und wenn die Handkamera in der gleichnamigen Trilogie abrupt auf einzelne Stellen des Monolithen zustürzt, springen dem Betrachter die mythologischen Wallabys, Dingos und Bumerangs förmlich entgegen. In Trickaufnahmen werden die Schlangen lebendig, die in der Traumzeit maßgeblich an der Entstehung der Welt beteiligt waren. Damals wanderten und tanzten Schöpfungsgeister über die gestaltlose Erde und hinterließen mit ihren Spuren – Wasserlöcher, Felsen, Berge, Flußbetten – den Menschen Gesetze und mythologische Landkarten. Richtig „gelesen“, sicherte das Land den Bewohnern die Nahrung. Diese wiederum schützten das Land, indem sie die zahlreichen heiligen Stätten unversehrt ließen.
Wie dieser Lebensweise buchstäblich der Boden entzogen wurde, dokumentiert „Exile And The Kingdom“. Rücksichtslos eigneten sich die britischen Siedler und Bergbaugesellschaften das Land an, drängten die Aborigines in immer unfruchtbarere Gebiete ab oder massakrierten sie. Die Überlebenden wurden Anfang dieses Jahrhunderts oft unter unwürdigsten Bedingungen in Reservate gesperrt. Unzählige Kinder wurden bis in die jüngste Vergangenheit gewaltsam von ihren Eltern getrennt, um in weißen Familien und Heimen zu „zivilisierten“ Menschen erzogen zu werden. Die daraus resultierende Traumatisierung, die Zerrissenheit zwischen zwei Welten, ohne sich irgendwo wirklich zugehörig zu fühlen, wird immer wieder in Filmen von Aborigines thematisiert.
Unter Verwendung von Archivmaterial, das die Lumière Company 1912 in den Reservaten drehte, beleuchtet „Lousy Little Sixpence“ die historische Situation. Eine Annäherung an die vielschichtige Problematik von zwangsadoptierten Mädchen, die häufig von ihren Pflegevätern mißbraucht wurden, ermöglicht „Terra Nullius“. Keiner stringenten Erzählstruktur folgend, mischen sich Erinnerungsfetzen mit Wunschträumen, Ängsten und erstarrter Gegenwart. Sie zerreißen das Netz aus Verdrängung und Schuldgefühlen und hämmern sich nicht zuletzt via Tonspur einen Weg ins Bewußtsein.
Ganz anders „Jedda“, einer der populärsten australischen Spielfilme der 50er Jahre, der subtil die Klischees vom „exotischen Wilden“ bedient. Als Aborigine- Waise wird die Titelheldin von einer Weißen aufgenommen. Mit zunehmendem Alter fühlt sie sich immer stärker zu ihrem Volk hingezogen, dessen geheimnisvolle Gesänge und stampfende Tänze mit ihren unterdrückten Sehnsüchten korrespondieren. Angesiedelt zwischen Melodram und Western, gespickt mit Schlangen und Krokodilen, offenbart „Jedda“ auf unterhaltsame Weise die Bedrohung bürgerlicher Moralvorstellungen durch Natur und Sexualität.
Erst 1967 wurden den Aborigines die Bürgerrechte in ihrem eigenen Land zuerkannt. Mehr als die klassischen Probleme indigener Minderheiten hielt die australische Gesellschaft allerdings nicht für sie bereit. Seit den 70er Jahren konterten die Aborigines mit dem Aufbau selbstverwalteter Institutionen zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Diese Entwicklung brauchte auch neue Bilder. Blicke von Aborigines statt Blicken auf sie, schwarze Geschichten und Dokumente statt weißer Soap- operas und diffamierender Nachrichten. „Satellite Dreaming“ zeigt die Eroberung der visuellen Medien, inzwischen ist der Traum Wirklichkeit: Fast alle Aborigine- Gemeinden sind mit Satellitenempfängern ausgestattet, über die eigene Programme ausgestrahlt werden.
Mit „My Survival as an Aboriginal“ drehte Essieina Coffey 1979 einen der ersten Aboriginefilme überhaupt. Heute, knapp 15 Jahre später, kann man durchaus von einer eigenständigen Filmkultur sprechen. Vom Dokudrama bis zum Animationsfilm (hinreißend: „Bushed“, der in seinen besten Momenten an Figuren von Picasso erinnert) gibt es kaum ein Genre, in dem Aborigineregisseure nicht arbeiten. Daß das durchaus auch im Rahmen komplexer formaler Mittel möglich ist, belegen Arbeiten von Anne Pratten, Tracey Moffat und Michael Riley.
Das Aboriginality-Filmfestival läuft bis zum 31. Oktober in der Filmbühne am Steinplatz, im Babylon Mitte, im Museum für Völkerkunde
Spieltermine: siehe Programmteil
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