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SPD von der Europa-Mafia zerschlagen

■ Einige schillernde Facetten der Affäre um den Abgeordneten Dieter Schinzel

Aschaffenburg/Aachen (taz) – Seit nunmehr 14 Tagen ist der Aachener SPD-Europaabgeordnete Dieter Schinzel in Haft. Schinzel war am 27. Mai nach dem Einsatz eines Sondereinsatzkommandos in einem Aschaffenburger Restaurant zusammen mit einem halben Dutzend anderer festgenommen worden (taz vom 31.5.). Vorwurf: „Untauglicher Versuch der Hehlerei.“ Bei den Verhafteten war Falschgeld im Nennwert von vier Millionen Schweizer Franken gefunden worden. Schinzels Anwalt spricht von einem normalen Devisengeschäft, der Inkriminierte sieht sich einem Komplott ausgesetzt. Der Spiegel zitierte am Montag die Aschaffenburger Staatsanwaltschaft, Schinzel sei „eindeutig der Haupttäter“. Was wiederum am Tag danach der Oberstaatsanwalt energisch dementierte.

Die Informationen aus Aschaffenburger Justizkreisen tendieren bis heute gegen Null. „Ungewöhnlich abgeschottet“ sei der Apparat, sagt ein Kenner der dortigen Szenerie; selbst die Lokalreporter sähen alle Drähte zur Justiz gekappt. Ein Beleg für die Dimension des Falls? Die Spekulationen blühen: Organisiertes Verbrechen? Mafia? Geldwäsche? Schinzel-Bruder und Ex-Schlagersänger Christian Anders („Geh nicht vorbei“) wird derweil durch die TV-Talkshows gereicht. Seine Aussagen nach einem Besuch im Knast, der Bruder sei „das leibhaftige Elend“ und esse nichts mehr, wurden flugs als Hungerstreik interpretiert – und tags darauf sofort dementiert.

Wann immer der so schillernd- elegante Nahost-Experte Dieter Schinzel nach Aachen zurückkehrt, wird er feststellen, wie emsig Zeitungen und Heimatpolitiker an seiner politischen Zerstörung gearbeitet haben. Die Aachener Volkszeitung („Demokratisch Christlich Unabhängig“) schreibt vom „abenteuerlichen Leben“ und den „wirtschaftlichen Eskapaden des Finanz-Jongleurs“ mit „Lust am Glücksspiel“: Immobilienflops, Millionenschulden, Kreditkündigungen, 1.000-Mark-Jetons, Schufa-Alarm.

Großformatige Fotos von Schinzels Verhaftung zieren die Artikel – merkwürdig, daß trotz geheimem Einsatz ein Pressefotograf gleich hinter Schinzels Hosenbund abdrücken durfte. Der Fotograf jedoch beteuert gegenüber der taz, er habe die Aktion ganz zufällig mitbekommen.

Die Volkszeitung zitiert derweil aus einer Pfändungsverfügung des Finanzamtes über happige 362.000 Mark Steuerschulden. Auch merkwürdig: Die Verfügung wurde zeitgleich mit den ersten Meldungen von Schinzels Verhaftung auf den Weg gebracht. Kommentar des Finanzamts: „Kein Kommentar.“

Aachens CDU-Chef Ulrich Daldrup indes, gerade erst als Unternehmensberater (Spezialgebiet: Euro-Subventionen) in die Politik gewechselt, verteufelt vorverurteilend Schinzels „kriminelle Energie“, seine „Mafiamethoden“. Daldrup will im Oktober Oberbürgermeister werden.

Aber auch die SPD macht mit dem einst mächtigsten Mann der rot-grün dominierten Europastadt Aachen politisch kurzen Prozeß: Sie entzog ihm den Parteivorsitz des Bezirks und forderte ihn ultimativ auf, auch sein Ratsmandat niederzulegen, anderenfalls werde er umgehend aus der Partei ausgeschlossen. Schinzel weigerte sich. Das Ultimatum verstrich – und nichts geschah. Zu viele Schinzel- Günstlinge und potentielle Plauderer über den Postenfilz, heißt es.

Gestern am späten Nachmittag war in Aschaffenburg Haftprüfungstermin. Während der Termin noch lief, überraschte der Oberstaatsanwalt mit der ersten Mitteilung zur Sache: Schinzel habe einen Verkauf sogar von 10 Millionen Franken „gegen Gewinnbeteiligung vermitteln wollen“. Herkunft des Geldes: „aus einem Vermögensdelikt.“ Von Falschgeld, behaupte Schinzel, habe er nichts gewußt. Der vorgesehene Käufer war „eine Vertrauensperson der Polizei“. Bernd Müllender

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