: Alte Zwerge fürs Herz
■ Bonsai oder der Triumph der Kultur über die Natur / Eine Ausstellung
In ihrer Hand halten sie einen ganzen Baum. Oder einen ganzen Wald. Das sind wahre Kunstwerke. Die lieben sie wie andere Leute ihr Kind oder ihren Hund. Bonsai-Freunde betrachten sich tatsächlich als Künstler. An diesem Wochenende treffen sich in Wilhelmshaven die Mitglieder des 3500 Mitglieder zählenden Bonsai Club Deutschland e.V. zur Jahreshauptversammlung. Und sie zeigen in der Stadthalle der Jadestadt, worauf sie so stolz sind: 298 Bonsai.
Diese Bäumchen mit ihren eigenartig verzerrten Dimensionen: Sie greifen dem Betrachter ans Herz. Alte Zwerge mit ein bißchen zu großen Blättern oder Nadeln oder Blüten. Alles wie echt und darum falsch, alles Zeugnisse des Triumphs der Kultur über die Natur. Bonsai – „Baum in Schale“: erst vor 25 Jahren kam nach Deutschland als Mode, was Mönche in Japan vor 700 Jahren als die Kunst entwickelt hatten, einen Baum extrem zu manipulieren und doch gesund und schön zu erhalten. Für Bonsai-Freunde ist der „natürliche“ Baum lediglich Rohmaterial auf dem Weg zum perfekten Kunstprodukt.
Der vermutlich Älteste in Wilhelmshaven ist ein Igelwacholder (Juniperus rigida); sein Alter schätzt man auf 180 Jahre, es können auch ein paar Jahrzehnte mehr sein. Dieter Paul ist Marineoffizier aus Jever, aber im Hauptberuf Bonsaiverrückter. An diesem alten Igelwacholder, erklärt er, erkenne man sehr schön wichtige Prinzipien der Bonsaigestaltung: Der Umriß muß einem ungleichschenkligen Dreieck entsprechen; die Nadeln sollen kurz sein, die Ästchen harmonisch, das „Totholz“ dramatisch gestaltet. Die Wurzeln werden, wie im alten Eichenwald, ein wenig freigelegt; Waldboden wird mit Moosen nachgestellt. In der Ausstellung stehen Bäume, die auf Felsen wachsen, wie vom Sturm schiefgeweht stehen, es gibt „Blitzschäden“ und Kiefern, die aussehen, als hätten sie einen Steinschlag überlebt. Manche stehen in Gruppen zusammen, kleine, lauschige Wälder.
Alle Formen haben einen traditionellen Namen, so wie es weit über hundert Techniken gibt, die Pflanzen in ihr „Schnittmuster“ zu zwingen. Allerdinge werde nicht, beteuert Paul, das Holz eingewickelt wie die Füße chinesischer Mädchen, das sei ein altes Vorurteil. Überhaupt werden Bonsaifans oft geprügelt: sie quälten die Bäumchen. Dann erzählen sie von dem Arbeitsaufwand, um den Bäumchen jederzeit optimale Wachtumsbedingungen zu schaffen. Die brauchten soviel Zuwendung wie ein pflegeintensives Haustier.
Immerhin: neben der Schere, mit der immer wieder zurückgestutzt wird, spielt der Draht die Hauptrolle bei der „Erziehung“ der Bonsai. Bis zu 18 Monaten muß ein Ästchen gekrümmt werden, bis es sich harmonisch ins Baumkrönchen einfügt. Was man nicht sieht, ist die Wurzelarbeit. Wenn Paul sich in den Alpen, nahe der Baumgrenze, eine schöne krüppelige Kiefer ausgesucht und ausgegraben hat, beschäftigt er sich oft zwei Jahre lang nur mit der Wurzel. Die muß feinste Härchen ausbilden, um optimal den Dünger aufzunehmen. Die Beschränkung des Wurzelwachstums in der kleinen Schale ist eine wesentliche Voraussetzung für den Zwergwuchs.
Die schönsten Bonsai werden aus dem Samen gezogen oder wurden in der Natur gefunden. Der Erziehungsaufwand ist aber ungleich größer als bei Baumschul“material“. Förster müssen übrigens manchmal beruhigt werden, zum Beispiel durch „Ausgleichspflanzungen“. Hin und wieder kommt man auch mit den Einfuhrbestimmungen in Konflikt. Die beliebte Ajanfichte darf zum Beispiel nicht mehr importiert werden, aus Naturschutzgründen.
Typische Bonsaisorgen: Will man mal verreisen, und die Nachbarin übergießt den zwergwüchsigen Immergrünen, sprießen bei dem plötzlich die Nadeln ums Vierfache. Bis der Schaden behoben ist, vergehen Jahre. Und nicht nur Freude bereitet die Tatsache, daß Bonsai schick ist: Inzwischen kann man schon für 7,95 bei Discount-Gärtnern Bäumchen im Bonsai-Look aus Taiwan erstehen – gerade recht für unsere schnelle Zeit. Dabei lehrt das Bonsaibäumchen doch, eher in Generationen zu denken als in Wochen.
Und schon gar nicht ans Geld. Jedenfals nicht zuerst: 35.000 Mark würde der 180-jährige Star der Wilhelmshavener Ausstellung kosten – der evtl. Käufer würde allerdings sicher erst mal zwei Tage lang auf seine Seriosität hin überprüft. Alter wird hier nämlich geehrt. BuS
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