: Journalistischer Sturzflug
Rüdiger Proske, früher Moderator von „Panorama“, führt eine Kampagne gegen die Ausstellung über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht ■ Von Wolfgang Stenke
Wir hantieren hier am Nerv einer ganzen Generation.“ So hat Erhard Eppler die Wirkung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ mit einem Satz auf den Punkt gebracht. Die Schau wurde vom „Hamburger Institut für Sozialforschung“ konzipiert und war seit März 1995 mit großer Resonanz in elf Städten zu sehen, darunter Hamburg, Berlin, Wien, Stuttgart und zuletzt Regensburg (taz vom 8.3. 1996).
Der Vernichtungskrieg im Osten, so die These der Ausstellungsmacher, war nicht allein Sache von SD und SS, während – wie die Legende behauptet – die Wehrmacht lediglich in „normalen“ Kampfhandlungen den Schild blank hielt. Worum es ihnen nicht geht, sagen die Macher im Katalog: „Die Ausstellung will kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen.“
Eben dies ist ihnen dann doch vorgeworfen worden. Es meldeten sich vorwiegend solche Kritiker zu Wort, die die Ehre deutscher Soldaten gekränkt sahen. Günther Gillessen (FAZ vom 6.2. 1996) vermochte in den Fotos und Texttafeln, die die Ausstellung präsentiert, nur eine „pamphletische Collage“ zu sehen. Sie befriedige das Bedürfnis der Nachgeborenen nach „Betroffenheit“.
Nun hat sich der Journalist Rüdiger Proske, Jahrgang 1916, mit einer länglichen „Streitschrift“ zu Wort gemeldet. Proske ist dem breiteren Publikum als Chef des TV-Magazins „Panorama“ bekannt. In den sechziger Jahren entdeckte er die Futurologie und machte sich in den Siebzigern auf die „Suche nach der Welt von morgen“ (Sendungstitel). Heute ist Proske wieder in der Vergangenheit angekommen: bei der Geschichte deutscher Soldaten.
Proske, in jungen Jahren Jagdflieger der Luftwaffe, sieht in der Ausstellung ein Werk „planvoller Infamie“. Die Wehrmacht werde pauschal als „Verbrecherorganisation“ diffamiert. In seinem Buch „wider den Mißbrauch der Geschichte deutscher Soldaten zu politischen Zwecken“ attackiert er neben den Organisatoren der Ausstellung auch das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr in Potsdam.
Das MGFA, so Proske, habe die wissenschaftliche Munition geliefert, die nun auf die Wehrmacht gefeuert werde. In der Forschungsabteilung des Amtes hat Proske eine „rote Zelle“ ausgemacht, die „Wissenschaft als Machtinstrument zur Unterdrückung von Schichten“ herrichtet, „die von der Linken stigmatisiert“ worden sind. Er nennt als Mitglieder der „roten Zelle“ unter anderen Manfred Messerschmidt, Wolfram Wette, Wilhelm Deist und Gerd Ueberschär. Jedes Mittel sei ihnen recht: „Fälschungen durch Auslassungen und Hinzufügungen, hanebüchene Fehlinterpretationen und die Unterdrückung von Gegenmeinungen“ – bis „zum seelischen Mord“.
Proske ficht hier einen alten Konflikt aus, der zu Beginn der achtziger Jahre seinen Anfang nahm. Der Streit ging damals um den 4. Band der MGFA-Reihe „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ – Titel: „Der Angriff auf die Sowjetunion“. Einer der Mitarbeiter des Amts, Joachim Hoffmann, vertrat die These, Hitler sei 1941 einem Angriff Stalins zuvorgekommen. Die Mehrheit der Co-Autoren war nicht bereit, Hoffmanns Präventivkriegstheorie mitzutragen. Hoffmanns Beitrag wurde dennoch publiziert – mit einigen Abstrichen.
1996 sieht Proske darin einen Fall von Zensur und fordert, Teile des Weltkriegswerkes müßten zurückgezogen, das Bearbeiterteam für den noch zu schreibenden Band9 „Staat und Gesellschaft im Krieg 1939–1944/45“ ausgewechselt werden. Schließlich habe auch die Ausstellung „Vernichtungskrieg“ ihre Argumente aus Arbeiten des MGFA geschöpft. Proske: „Was bleibt, ist der Versuch, wenigstens die eigentliche Quelle dieser Diffamierung der Wehrmacht zu stopfen.“ Das Bundesministerium der Verteidigung hat Proskes Attacke zurückgewiesen – unter Hinweis auf die im Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit.
Proske indes bedenkt mit seinem Pamphlet die Oberbürgermeister jener Städte, in denen die Ausstellung zu Gast war. In seinem Anschreiben gibt er zu bedenken, „ob die Überlassung von kommunalen Einrichtungen für eine, wegen ihrer uneingeschränkten Pauschalurteile an Goebbels erinnernde, infame Desinformationsausstellung gerechtfertigt erscheint“.
Proskes „Streitschrift“ ist selbst infam. So werden dort die Mitarbeiter des MGFA vorgestellt: Wolfram Wette „ersetzt Fachwissen durch bemerkenswerte Arroganz und Selbstgefälligkeit“; Manfred Messerschmidt zeichnet sich aus durch „beinahe faschistoide Einseitigkeit, die sich psychopathologisch auf ein nahezu unwissenschaftliches Glaubensbekenntnis stützt“. Auch Jan Philipp Reemtsma, Gründer und Mäzen des Hamburger Instituts für Sozialforschung, wird bedacht. Er sei „das schwarze Schaf“ einer reichen Familie und werde „von der Hamburger Gesellschaft eher belächelt und von der Wissenschaft nicht ernst genommen“.
Nach der Lektüre von 100 Seiten dieser „Streitschrift“ sei eine biographische Retourkutsche gewagt. Daß der ehemals linksliberale Proske sich im Alter zum Ehrenretter deutscher Soldaten aufwirft, könnte auf einen Karrierebruch zurückzuführen sein. Die militärische Laufbahn des Jagdfliegers (EK I&II) wurde 1940 von der Royal Airforce durch Abschuß beendet. Der Abschuß mag ein kränkendes Erlebnis gewesen sein, die darauf folgende Kriegsgefangenschaft ersparte Proske aber immerhin die Augenzeugenschaft bei jenem Vernichtungskrieg, der von seinesgleichen immer noch als Rußlandfeldzug verharmlost wird.
Rüdiger Proske: „Wider den Mißbrauch der Geschichte deutscher Soldaten zu politischen Zwecken. Eine Streitschrift“. Von Hase & Köhler, 1996, 100 S., 19,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen