: Ein Gastspiel bei der "Firma"
■ Die MfS-Akte von Barbara Thalheim: Sozialistin, Sauberfrau, naiv und, wie die Stasi jammert, exaltiert
Berlin (taz) – Die Geschichte von Künstlern und Intellektuellen in der DDR könnte man in Form von Hoffnungszyklen beschreiben. Eine dieser Zyklen begann nach dem Mauerbau und schloß mit der Zerschlagung des „Prager Frühlings“. Für ihn steht Christa Wolf als Protagonistin. Ein weiterer startete mit der Machtergreifung Honeckers, als es einen Augenblick so aussah, als wäre jede Meinung erlaubt, vorausgesetzt, die sozialistische Grundrichtung stimmte. Der Zyklus fand 1976 mit der Ausweisung Biermanns sein jähes Ende.
In dieser letzten Auf- und Abschwungphase der Hoffnung auf die sozialistische Reformierbarkeit der DDR stieg der Stern der Sängerin Barbara Thalheim auf. Und ungefähr in diesem Zeitraum lief auch ihr Gastspiel als IM beim Ministerium für Staatssicherheit.
1972 wurde sie, nach einer „Vorlaufzeit“, geworben, 1980 avancierte sie selbst zum Gegenstand der operativen Kontrolle. Sie hatte die Hoffungen der „Firma“ enttäuscht, war der feindlichen, ideologischen Diversion erlegen und stand sogar im Verdacht, im Sumpf der „Put“, der politischen Untergrundtätigkeit, gelandet zu sein. Letztere Vermutung erwies sich als unbegründet, so daß der „Vorgang“ 1985 abgeschlossen werden konnte. Aber das MfS hielt bis zu seinem Ende ein mißtrauisch-wachsames Auge auf sie.
Jenseits aller konkreten, zum Teil verrückten, zum Teil abscheulichen Details erschließt sich dem Leser der drei bei der Gauck-Behörde lagernden „Thalheim“- Bände eine Art Panorama der Beziehungen des Parteistaats zu seinen „progressiven“ Künstlern.
Den Funktionären der Staatsmacht stehen zu Beginn der 70er Jahre oftmals keine verängstigten, willfähigen, angepaßten Naturen gegenüber. Barbara Thalheim fühlt sich als Sozialistin, die kämpfen will. Ihr Ziel steht fest: Unruhe stiften, Aufmerksamkeit schaffen für das einzelne Schicksal, die Emotionen in den Dienst der guten Sache stellen. Auch den Gegner hat sie im Visier: das Kulturmanagement, konzentriert bei den Finsterlingen der staatlichen Konzert- und Gastspielagentur.
Daß Barbara Thalhein zuerst als Protestierende, als Anwältin eines Kollegen mit zu langem, konzertungeeignetem Bart, die Aufmerksamkeit der „Firma“ erregt, ist kein Zufall. Die Sängerin will allen Ernstes unter den Tschekisten Verbündete im Kampf gegen die Kulturbürokratie gewinnen. Sie will nicht wahrhaben, daß die Kollegen von der Hauptabteilung II/ 6 weniger am emanzipierten linken Liedgut interessiert sind als an den weitverzweigten, sich bis ins kapitalistische Ausland erstreckenden Verbindungen der jungen Dame.
Was ihr Herzensangelegenheit ist, gilt dem fürsorglichen Oberleutnant Krusch, der es dank seiner Betreuungsarbeit zum Major bringen wird, als subjektivistischer Kram, bestensfalls als „Unklarheit“ über die Erfordernisse der proletarischen Diktatur.
Die Stasi fordert verwertbare Informationen über den Freundeskreis Barbara Thalheims, über schlechte Angewohnheiten, schädliche, um die Republikflucht kreisende Gedanken. Die Sängerin wiederum versucht nach Kräften, ihr verhaßte Funktionäre anzuschwärzen – z.B. den Leiter der Redaktion des Jugendfernsehens, dem sie laut einer Information vom 25. Juni 1974 unterstellt, er betreibe Patronagepolitik, sei ein übler Sexist und habe außerdem noch Geld unterschlagen. Barbara Thalheim nimmt ihrerseits kein Geld von der „Firma“, wie der Führungsoffizier erfreut vermerkt. Außer wenn sie total pleite ist. Aber auch dann nur 500 Mark. Sie hat eine andere Art von Geschäft im Sinn: Information gegen politische Einflußnahme. Aber das ist ein Spiel, bei dem sie notwendigerweise am kürzeren Hebel sitzt.
An einem Punkt stimmen die Informationsbedürfnisse der Staatssicherheit und der Diseuse auf merkwürdige Weise überein. Barbara Thalheim wird nicht müde, Leute aus ihrer Umgebung als schwul, lesbisch, als Sodomiten zu denunzieren. Sie, die Künderin experimenteller Lebensentwürfe, verabscheut schmutzige Wohnungen, Suff, Drogen, Pornos und beschäftigungslos herumlungernde Figuren. Sie ist eine richtige sozialistische Sauberfrau. Getreulich meldet sie auch, wer allzuviel Geschenke aus dem nichtsozialistischen Währungsgebiet bekommt. Ein westdeutscher, in eine staatsfeindliche DDR-Bürgerin verliebter, linker Student erregt ihre Aufmerksamkeit. Der „Weltverbesserer“, so meldet sie, wolle doch tatsächlich nach dem Abschluß des Studiums in die DDR auswandern, um dort seine Liebste zu ehelichen. Aus dem Verhältnis wird nichts. Barbara Thalheim informiert auch darüber, was dem Ausreiseantrag ihrer bereits wegen versuchter Republikflucht vorbestraften Bekannten sicher nicht förderlich war. Mit der Weitergabe konkreter Pläne zur Republikflucht hielt sich die Künstlerin bemerkenswert zurück – sei es aus Unwissenheit, sei es aus einem Loyalitätsgefühl, auf dessen unausrottbare Existenz sie die „Firma“ von Anfang an aufmerksam gemacht hatte.
Auf eine harte Probe wurde diese Loyalität auch nicht gestellt. Man bedeutete der Künstlerin, die Kreise um Bettina Wegner, sicher als Liedermacherin die Hauptkonkurrentin im „alternativen“ Lager, zu meiden. Als Barbara Thalheim schließlich in die Reihen der Partei der Arbeiterklasse aufgenommen wird, benutzt sie die kleine Feier zu einer Attacke auf die Mitglieder ihrer künftigen Grundorgsanisation – eben die Konzert- und Gastspielagentur. Eigentlich hätte man sie sofort wieder ausschließen müssen, befindet ein empörter Genosse in seinem Bericht ans MfS.
Es häufen sich jetzt Klagen über Konzerte, bei denen sie den Namen „DDR“ nicht in den Mund nimmt, statt von „unserem Land“ nur von „diesem Land“ spricht und sich überhaupt lieblos gegenüber dem Parteistaat verhält. Sie beschwert sich per Kassette in den Medien des Klassenfeindes über das (temporäre) Auftrittsverbot von DDR-Künstlern in der Bundesrepublik.
Schließlich, als zweimal hintereinander ein Kollege von einer Westtournee ihrer Band ausgeschlossen wird, versucht sie doch glatt, die „Firma“ zu erpressen: Kein Kontakt mehr mit dem MfS, wenn die Sperre nicht aufgehoben wird. Sie hätte schon Wissenswertes auf Lager, aber umsonst gibt's nichts. Das war zuviel. „Diese exaltierte Person“ wurde von der IM- Liste gestrichen und der Abteilung XX als Beobachtungsobjekt überantwortet. Zu spät erkannte die Künstlerin: Wer mit dem Teufel aus einem Topf ißt, muß einen langen Löffel haben. Christian Semler
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