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„Hoffentlich werde ich gefeuert“

Die Deutsche Fußball-Meisterschaft der Fan-Clubs in Hamburg  ■ Von Philip Banse

Oliver Güttler vergißt für einen Moment den Teller Erbsensuppe vor sich auf dem Tisch. „Gleich als erstes gegen den deutschen Meister, gleich gegen BVB!“ Trainer Thomas Landt sagt das, als gebe es keinen Unterschied zwischen den Fußballprofis aus Dortmund und deren Fan-Mannschaft. Ehrfurchtsvoll blicken ihn seine Spieler vom St. Pauli Fanclub „14. Mai – und die Hoffnung bleibt!“ an. Gedankenverloren und etwas müde sitzen Landts Mannen bei der Mannschaftsbesprechung im Bierzelt auf dem HSV-Gelände in Ochsenzoll, trinken Bier und rauchen.

Beim Millerntor-Cup hatte sich die Truppe gegen die anderen St. Pauli-Fanclubs die Ehre erkämpft, sie alle am Wochenende bei der ersten deutschen Fanmeisterschaft vertreten zu dürfen. Landt erklärt nochmal die Regeln und legt die Elfmeter-Schützen fest. „Jetzt heißt es Leistung bringen, aber auch Spaß haben.“ Kontrollierte Offensive, nach vorne Druck und kämpfen. Alle nicken. Umziehen.

Olli Güttler kommt als erster im braun-weißen Original aus der Kabine. „Richtig in Kutte“, freut er sich. Überall laufen Fans aller 18 Bundesligavereine herum – ohne Zaun und Trenngitter. „Die Rostocker habe ich schon gesehen“, erzählt Güttler, „das knistert!“ Holger Criwitz, Vorsitzender des HSV-Supporter-Fanclubs, glaubt, mit dem Turnier „endlich mal Ruhe in die Fan-Szene“ bringen zu können. Bei der Begrüßung spricht die Turnierleitung von „neuen Bekanntschaften“ und „Begegnung“. Zwischenruf auf Hessisch: „Woll'n g'winne, nich heirate!“

Kurz vor dem Dortmund-Spiel. Die Mannschaft wärmt sich auf, kickt die Kugel im Kreis herum. Norbert Facklam gibt dem NDR noch ein Kurzinterview: „Unsere Stärken? Geschlossenheit. Die Mannschaft ist der Star!“

Anpfiff bei Pauli. Wie in der F-Jugend spielen sechs gegen sechs auf kleine Tore. Die Kiez-Fans stehen sofort unter Druck. Schuß! Tolle Parade von Pauli-Keeper Lehovec. Der Trainer stöhnt: „Was für ein Acker! Arbeiten, Olli!“ Es hilft nichts. Zwei Gegentore noch vor der Pause, erste Zwistigkeiten zwischen Ersatzbank und Trainer: „Die stehen alle nur vorne rum!“ – „Du hast auch katastrophal gewechselt!“ In den zweiten zehn Minuten spielt Pauli noch schlechter. Endstand 1:4.

Egal, erstmal Bier und Kippe. Stolz steht Thorsten Bersch, Schütze des Ehrentreffers, noch auf dem Rasen und strahlt in die Kamera von HH 1. Verdienter Sieg, taktische Zwänge, holen die Punkte von unten. „Wann kann ich das sehen?“, fragt er am Schluß.

Im Schatten am Spielfeldrand liegt der Fanclub mit seinen Fans und diskutiert. Ein Heiligtum wird ausgemustert. Vier Spiele fänden schon in dieser Saison im Volksparkstadion statt. Wenn sie das Millerntor zumachen, sei „St. Pauli tot.“ Immer vor Augen die Münchner Löwen, einst „underdogs wie wir“. Die haben ihre „Grünwalder Straße“ gegen das Olympiastadion eingetauscht. Man zieht sich zurück und berät in kleiner Runde: „...Partei gründen...“. Gegenüber der Presse vereinbaren sie Stillschweigen.

Der „14. Mai“, gegründet 1993, als St. Pauli kurz vorm Abstieg stand, ist mit 44 Mitgliedern einer der größten Pauli-Fanclubs. Er half mit, daß das Länderspiel Deutschland – England, angesetzt für den 20. April 1994, verhindert wurde, aus Furcht vor rechtsradikaler Randale an „Führers Geburtstag“. Einen Teil ihrer Mitgliedsbeiträge spenden sie an Stadtteileinrichtungen. „St. Pauli ist eine bestimmte Art, miteinander umzugehen“, sagt Olli Güttler.

Trainer Landt hat die beiden anderen Gruppengegner beobachtet: „Schalke und Stuttgart schaffen wir. Aber starker Torwart.“

Ein müder Kick. Alle ächzen unter Bierbauch und Sonne, Schalke gewinnt 1:0. Pauli ist schon vor dem letzten Gruppenspiel am Sonntag draußen. Der Trainer freut sich: „Hoffentlich werde ich gefeuert! Dann brauch ich morgen nicht kommen.“ Die Löwen, einst Underdog-Kollegen, sind in Fahrt und kommen weiter. Ihr Fan-Beauftragter: „Bin ein Löwe! Will meine Mannschaft siegen sehen!“

So ist's recht.

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